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Der Kinderdieb

Titel: Der Kinderdieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brom
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»Es ist das Langschiff.«
    Peter half Tanngnost dabei, die Dame das Felsufer hinunterzutragen. Sie erreichten den geschwärzten Rumpf des großen Schiffs, und einer nach dem anderen gingen die letzten Überlebenden Avalons an Bord: die Hexe, ihre Töchter, Tanngnost mit der Dame, die Elfen und schließlich die Barghests, die in den Bug flitzten und sich wie Wasserspeier auf den prächtigen Drachenkopf kauerten. Als Peter an der Reihe war, zögerte er.
    »Beeilung, Peter«, sagte die Dame.
    Der Junge legte eine Hand auf die Reling, um sich hochzuziehen, hielt dann jedoch inne.
    »Peter?«
    Er biss die Zähne aufeinander und schüttelte den Kopf.
    Die Dame musterte ihn streng.
    »Ich kann nicht.«
    »Sei nicht albern«, sagte die sie.
    »Zuerst muss ich noch etwas anderes erledigen.«
    »Du meinst doch nicht dieses dumme Versprechen, das du dem Jungen gegeben hast?«
    Peter nickte.
    »Komm an Bord, mein Junge«, befahl die Dame. »Wir haben keine Zeit für solche Spielchen.«
    Peter öffnete seine Gürteltasche und zog drei Äpfel hervor.
    Die Augen der Dame weiteten sich. »Avallachs Saat«, sagte sie andächtig.
»Wie?«
    Peter reichte ihr die Äpfel, die sie sofort an ihrer Brust barg wie ein neugeborenes Kind.
    »Weißt du, was das bedeutet? Nun kann Avalon wahrhaftig wiedergeboren werden!«
    Peter nickte einmal mehr.
    »Mein Junge.« Ihr Tonfall war nun leise und verführerisch. »Alles, was du dir je gewünscht hast, wartet auf dich.« Ihre durchdringenden himmelblauen Augen leuchteten. »Eine neue Welt, mein Held. Du wirst dort an meiner Seite sitzen und all die Zauberfreuden mit mir teilen.« Ihre Stimme wurde tiefer. »Sieh ihn dir an, Peter. Sieh dir deinen rechtmäßigen Platz an. Sieh, wie sich dein Schicksal erfüllt.«
    Peter teilte ihre Vision: er, der wilde Kriegsherr der Sidhe, der mit Bestien und wilden Feen an seiner Seite durch den Zauberwald streifte und Herr über alles war, worauf sein Blick fiel. Es war tatsächlich alles, was er sich je gewünscht hatte.
    »Dein Herz ist schwer, weil du um die Kinder trauerst«, fuhr die Dame in demselben tiefen, einlullenden Ton fort. »Das ist nur verständlich. Doch wenn der neue Tag anbricht, wirst du all das hinter dir lassen. Wenn du erst einmal an meiner Seite bist, wenn erst einmal alle Feen zu deinen Füßen tanzen, wirst du sie vergessen, und der Schmerz wird verblassen.«
    »Sie vergessen?« Peter schüttelte die Vision ab. »Nein.« Sein Tonfall war bestimmt und entschlossen. »Ich werde sie nicht
vergessen
. Ich werde sie niemals
vergessen
.« Er wich einen Schritt zurück.
    »Peter du
wirst
mitkommen. Du
musst
mitkommen. Eine neue Welt ist eine zerbrechliche Sache. Es ist deine Bestimmung, Caliburn zu tragen und Avalon zu verteidigen. Du kannst dein Geburtsrecht nicht zurückweisen. Es ist deine
Pflicht
. Jetzt komm an Bord, ich befehle es dir.«
    Peter hielt ihrem Blick stand und schüttelte den Kopf. »Ich habe etwas versprochen.« Er ließ das eingewickelte Schwert neben der Dame ins Boot fallen. »Leb wohl, Modron.«
    Die Augen der Dame blitzten auf, und sie bleckte knurrend die Zähne.
    »Modron«, sagte die Hexe lachend. »Das Blut seines Vaters ist in ihm erwacht. Es sieht ganz danach aus, als ob deine Magie sein Herz nicht länger im Bann hält.«
    Die Dame funkelte ihre Schwester zornig an, dann schien plötzlich alle Luft aus ihren Lungen zu weichen, und sie ließ den Kopf an Tanngnosts Brust sacken. »Petervogel«, sagte sie mit schwacher, müder, geschlagener Stimme. »Mein kleiner Mabon. Bitte verlass mich nicht. Ich brauche dich.«
    Peter zog die Kette mit dem Stern über seinen Kopf, nahm die Hand der Dame und legte sie hinein. »Ich bin nicht Mabon«, sagte er leise.
    Die Dame starrte auf den leblosen Stern. Sie wirkte unendlich traurig. Doch dann wurde ihre Miene grimmig, und einen Moment lang sah Peter die Dame, der er vor all den Sommern begegnet war. Er sah nicht die zerbrechliche Frau, sondern die Göttin, die stolze Tochter Avallachs, die Königin Avalons. Sie richtete sich auf und hielt ihm Mabons Stern entgegen. »Tu eines für mich. Behüte dies.« Peter merkte, dass der goldene Glanz des Sterns zurückgekehrt war. »Wenn du mit deinen Spielen fertig bist, bring ihn zu mir nach Hause.«
    Peter nahm den Stern entgegen, doch er ließ ihn in seine Tasche gleiten, anstatt ihn sich um den Hals zu hängen. Danach sah er zu Tanngnost hinüber. »Leb wohl, alter Freund.«
    Der Troll stieß einen tiefen, schweren Seufzer aus und

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