Der Kirschbluetenmord
… aber er sagte, daß die Verschwörung der Einundzwanzig sogar Erfolg haben könnte! Er sagte …«
Weiter, drängte Sano ihn stumm. Erzähl schon weiter! Du hast mir gesagt, wer die Verschwörer sind. Vielleicht wäre ich sogar selbst darauf gekommen, wegen der verschiedenen Familienwappen, die ich auf der Versammlung in der Sommervilla der Nius gesehen habe, und der flammenden Rede wegen, die Fürst Niu dort vor seinen Komplizen gehalten hat. Ich weiß jetzt, was sie vorhaben. Aber nun sag mir auch, was sie unternehmen wollen!
»Sie haben wirklich die Absicht, die Regierung zu stürzen – den schlimmsten Verrat, den man sich nur vorstellen kann!« sagte Kirschenesser.
Die Wucht dieser Worte ließ Sanos Inneres vor Schreck erbeben. Krampfhaft schloß seine Hand sich um die Eßstäbchen. Falls er Kirschenessers Bemerkung richtig deutete, bestand das Ziel der »Verschwörung der Einundzwanzig« darin, einen Schlag gegen die Tokugawa-Sippe zu führen! Was für schreckliche Folgen konnte das haben? Bestenfalls beschwor es den Zorn der Tokugawas auf die Familien der Verschwörer hernieder. Schlimmstenfalls wurde das Land in einen neuen Bürgerkrieg gerissen, falls jeder der mächtigen Daimyō versuchte, die Stelle des obersten Militärdiktators für sich zu beanspruchen. Was für ein Wahnsinn! Plötzlich, bevor Sano etwas anderes hören oder überlegen konnte, legte sich eine Hand auf seine Schulter.
»Sano -san! «
Sano zuckte beim Klang seines Namens zusammen und ließ die Eßstäbchen fallen. Als er sich zu dem Sprecher umdrehte, sah er, wie Kirschenesser ruckartig den Kopf zur Seite wandte.
»Was führt Euch denn hierher, Sano -san ?« Es war der fröhliche alte Straßenhändler, der in jener Gegend Fisch verkaufte, in der Sanos Eltern wohnten. »Ich dachte, Ihr arbeitet jetzt für den Magistraten. Im Range eines yoriki, nicht wahr?«
»Pssst!« Hastig winkte Sano dem Händler, still zu sein, während er gleichzeitig einen verstohlenen Blick auf Kirschenesser und Kikunojō warf. Bestürzt erkannte er, daß der Schaden bereits entstanden war.
Kirschenesser und Kikunojō starrten ihn an. Auf ihren Gesichtern spiegelte sich erschrecktes Wiedererkennen. Dann stürmten beide wie auf ein Kommando in entgegengesetzten Richtungen davon. Kikunojō jagte an Sano vorüber und durch den Vordereingang. Während er rannte, zerrte er sich den hinderlichen Umhang herunter und schleuderte ihn mitsamt der daruntergestopften Kissen zu Boden, die ihm das Aussehen eines dicken Mannes verliehen hatten. Kirschenesser schnappte sich sein Bündel, huschte vom Schanktisch weg und verschwand hinter dem Vorhang an der Küchentür.
»Ich habe erst gestern mit Eurer Mutter gesprochen«, fuhr der Straßenhändler fort, der angesichts der seltsamen Begrüßung durch Sano ziemlich verdutzt dreinschaute. »Eurem Vater geht es nicht gut, hm? Das ist wirklich schlimm. Ich werde ihm ein bißchen Leber vom Walfisch mitbringen, wenn ich das nächste Mal zu ihm gehe, und … Sano -san, wohin wollt Ihr denn so eilig?«
Sano warf als Bezahlung für das Essen ein paar Münzen auf den Schanktisch. Er ließ Kikunojō nur höchst ungern entwischen; denn er mußte dem Schauspieler einige wichtige Fragen stellen. Doch zuerst einmal mußte er Kirschenesser verfolgen, um mehr über die Pläne der Verschwörer zu erfahren. Sano schlug den Vorhang zur Seite und stürmte in die Küche. An einem Tisch stand eine Frau und nahm Fisch aus. Sie schrie auf, als Sano auf dem Weg zur Hintertür gegen sie prallte.
»Verzeihung!« rief er. »Tut mir leid!«
Draußen fand Sano sich auf einer schmutzigen, übelriechenden Gasse wieder. Er sah Kirschenessers davonstürmende Gestalt in Richtung Kanal flüchten.
»Wartet!« rief er. »Ich möchte doch nur mit Euch reden!«
Kirschenesser rannte weiter, aber sein Bündel behinderte ihn, so daß Sano rasch zu ihm aufschloß. Doch er verlor den gewonnenen Vorteil wieder, als mehrere Männer aus einer Tür kamen und ihm ungewollt den Weg versperrten. Sano wühlte sich durch die Gruppe hindurch – gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Kirschenesser ins Wasser sprang und in ein Fischerboot kletterte.
»So wartet doch, Kirschenesser!« rief Sano, der keuchend die Gasse hinunterrannte und dabei Passanten, streunenden Hunden und Stapeln aus Fischernetzen auswich.
»Beeil dich! Beeil dich!« drängte Kirschenesser den Fischer. Die hektischen Gesten und Hopser des shunga- Händlers hätten das Boot beinahe zum Kentern
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