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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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Abschiedsgruß wankte er aus der Leichenhalle. Er mußte raus hier. So schnell wie möglich.
    Die Gefängnisflure kamen ihm endlos lang vor; die Schreie der Gefangenen hörten sich an wie das Heulen der höllischen Dämonen. Irgendwie schaffte Sano es bis zum Tor. Es gelang ihm noch, auf sein Pferd zu steigen und die Hälfte der Brücke zu überqueren. Dann rebellierte sein Magen aufs neue. Sano stieg rasch ab und übergab sich würgend in den Kanal. Doch daß die Übelkeit schwand, brachte ihm nur wenig Erleichterung. Noch immer kam er sich schrecklich besudelt vor. Er hatte nur noch einen Gedanken: sich so schnell und so weit wie möglich von diesem Ort des Grauens zu entfernen. In wildem Galopp ritt er blindlings durch das trübe Licht der Dämmerung.
    Schließlich ragte – wie ein Geschenk der Götter – ein Gebäude vor ihm auf, über dessen Eingang ein blaues Schild hing, auf dem das Schriftzeichen yu abgebildet war: heißes Wasser. Ein Badehaus. Sano zerrte an den Zügeln, bis die Stute stand, sprang vom Pferderücken, stürmte ins Innere des Badehauses und warf ein paar Münzen auf den Ladentisch.
    »Ein heißes Bad kostet nur acht sen, Herr!« rief der Bedienstete ihm nach und hielt das Wechselgeld in der ausgestreckten Hand.
    Sano beachtete ihn nicht. Er schnappte sich einen Beutel mit Seife aus Reiskleie vom Empfangstisch und schob dem Bediensteten hastig seine Schwerter zur Aufbewahrung zu. Dann taumelte er in die Badestube. In dem dunstigen, feuchten Raum saßen Männer mit Lendenschurzen und Frauen in dünnen Untergewändern. Sie schrubbten und spülten sich ab oder ließen sich im tiefen Badebecken treiben. Sano war sich der erstaunten Blicke der anderen Besucher gar nicht bewußt, als er sich die Kleidung vom Leib riß und sie achtlos zu Boden schleuderte. Wild rieb er sich mit der Seife ein, bis die Haut wie Feuer brannte. Dann goß er sich einen Eimer Wasser über dem Kopf aus, stieg ins Badebecken und tauchte immer wieder unter. Das Wasser war kochend heiß, doch Sano zwang sich, Mund und Augen offen zu halten, damit das Wasser ihn von innen und außen reinigen konnte.
    Endlich überkam ihn eine tiefe innere Ruhe. Er fühlte sich nicht mehr beschmutzt. Keuchend zog er sich aus dem Badebecken, ging zu einer der Bänke im Dampfraum und setzte sich. Dann schloß er die Augen und stöhnte auf, als ihm schlagartig eine Erkenntnis kam.
    Noriyoshi war ermordet worden. Die Logik sagte Sano, daß auch Yukiko einem Mord zum Opfer gefallen war. Doch weil er niemandem von der verbotenen Leichenöffnung erzählen durfte, mußte er eine andere Möglichkeit finden, zu beweisen, was niemand wissen durfte.

3.
    S
    ano erwachte vom Geräusch der Schritte, die vor seiner Schlafkammer in den Kasernen der yoriki ertönten. Unter seiner dicken Decke drehte er sich zur Tür und hob den Kopf von der hölzernen Nackenstütze. Ein schmaler Lichtschacht fiel ins Zimmer und wurde breiter, als das Türblatt zur Seite geschoben wurde. Dann kam das Dienstmädchen auf den Knien ins Zimmer und brachte einen Eimer mit heißen Kohlen herein.
    »Guten Morgen, yoriki-san« , sagte sie fröhlich und beugte sich vor, um einige Kohlestücke in ein Becken zu legen, das in der Nähe von Sanos Futon stand.
    Durch die dünnen Wände drangen die anderen morgendlichen Geräusche der erwachenden Kasernen. Die Holzdielen der Veranda, die sich vor der Tür von Sanos Wohnung und zehn weiteren erstreckte, ächzten und bebten unter hastigen Schritten. Die yoriki riefen einander Begrüßungen zu.
    Sano hatte eine Zeitlang gebraucht, sich an diese Geräuschkulisse zu gewöhnen, die ganz anders war als die Stille des Hauses, in dem er allein mit seinen Eltern und einem einzigen Dienstmädchen gewohnt hatte, das für alle Arbeiten zuständig war. Als im angrenzenden Zimmer ein lautes Krachen ertönte, verzog Sano das Gesicht und erhob sich vorsichtig.
    Zu seiner Erleichterung war die Übelkeit von ihm abgefallen, die ihm nach der Leichenöffnung den ganzen gestrigen Abend zu schaffen gemacht hatte. Er fühlte sich ausgeruht und hungrig; ja, er war sogar zuversichtlich, herauszufinden, wer Noriyoshi und Niu Yukiko ermordet hatte. Nur die Sorge um seinen Ruf und die unterschwellige Furcht, Magistrat Ogyūs Befehl mißachtet zu haben, trübten seine Gedanken.
    Eilig streifte Sano seinen dicken Winterumhang über und ging zum Türeingang, um seine Sandalen anzuziehen. Er schauderte in der kalten Luft des grauen Morgens, als er über die Veranda zu den

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