Der Klang Deiner Gedanken
den Gleisen. „Dass mir deine Briefe mehr bedeuteten, als sie sollten.“
„Ich ... ich verstehe nicht.“
„Natürlich nicht. Wie auch? Ich vergeige es ja auch gerade.“ Er trat wütend ein Steinchen hinunter ins Gleisbett. „Wieso ist es immer einfacher, zu lügen? Selbst dann, wenn Lüge und Wahrheit so dicht beieinander liegen?“
„Ich verstehe wirklich nicht, was du meinst.“
Walt stellte sich in Rührt-euch-Stellung vor Allie hin, ausgenommen, dass er seine Hände nicht hinter dem Rücken ineinanderlegen konnte. „Ich wusste in dem Moment, dass ich mit den Briefen aufhören musste, als ich eines Morgens betete: ‚Lieber Gott, wieso kann sie nicht mit Baxter Schluss machen und sich in mich verlieben?‘“
Allie bekam große Augen, größer und grüner als je zuvor.
„Das war falsch. Du warst verlobt. Letzten Endes warst du es dann wohl doch nicht, aber ich dachte das zumindest. Wenn du ihn geheiratet hättest, dann hätte ich heimlich die Frau eines anderen begehrt, und dass das falsch ist, steht sogar schon in den Geboten. Na gut, dasselbe gilt fürs Lügen, aber ...“
Allies Mund ging auf, wieder zu, wieder auf. „Willst du damit sagen ...“
„Ich liebe dich.“ Endlich. Die Wahrheit. Einfach nur die nackte, harte Wahrheit.
„Du ... du ...“
„Ich liebe dich. Ich dachte, ich könnte mich mit Emily ablenken. Es half nicht. Je mehr Zeit ich mit ihr verbrachte, desto mehr Sehnsucht hatte ich nach dir. Meine Gefühle für dich wurden immer tiefer. Da musste ich den Kontakt abbrechen. Das macht es nicht weniger falsch, aber das ist der Grund für meine Lüge.“
„Wieso hast du mir nicht einfach die Wahrheit gesagt?“ Ihr ganzes Gesicht lag vor Verzweiflung in Falten und sie presste sich eine Hand auf den Mund.
Sie so leiden zu sehen, war für Walt, als würde man ihm den Sauerstoff abdrehen. „Es tut mir so leid. Ich hätte es dir sagen sollen. Aber ich wusste, dass du nicht dasselbe fühlst und wollte mich nicht vollends blamieren. Dieser dämliche Stolz. Was meinst du, warum ich dir das alles erst jetzt beichte? Du hast mal gesagt, Schweigen sei eine ehrliche Lösung für Probleme. Aber nicht in meinem Fall. Ich habe zugelassen, dass du einer Lüge glaubst. Schweigen hat nicht das Geringste mit Ehrlichkeit zu tun, wenn damit eine Lüge am Leben erhalten wird.“
Allie murmelte etwas und nahm dann die Hand vom Mund. „Hast du überhaupt eine Ahnung, wie mich dieser Brief getroffen hat? Ich habe mich in jener Nacht in den Schlaf geweint.“
„Wirklich?“ Sein Magen fühlte sich an, als wäre er durch einen Fleischwolf gedreht worden. Dass sie seine Freundschaft so sehr vermissen würde, hätte er nicht gedacht.
„Das war genau die Nacht, in der ...“ Ihr Blick wanderte kurz auf seinen Armstumpf und wieder zurück. „Ich hatte einen richtigen Albtraum. Du wolltest nichts mehr von mir wissen, aber mein Gebet brauchtest du trotzdem. Und ich habe gebetet.“
Noch ein Schlag in seinen gebeutelten Magen. „Wenigstens hat einer von uns Gott gehorcht. Allie, das alles tut mir so leid. Es tut mir leid, dass ich dich angelogen habe. Es tut mir leid, dass ich dich verletzt habe. Was für eine dämliche Art, einer Frau seine Liebe zu gestehen.“
Allie schlang sich die Arme um ihren Bauch und sah sich mit aufgewühltem Blick auf dem Bahnsteig um. „Weißt du, ich habe von diesem Moment geträumt. Ich wollte hier stehen, mit meinem neuen Hut, und du solltest aus dem Zug steigen. Deine ganze Familie sollte hier sein, und dann wollte ich dir um den Hals fallen und dir von der gelösten Verlobung erzählen. Und wenn dir das gefallen hätte, dann wollte ich dir ins Ohr flüstern, wie sehr ich dich liebe, aber das hätte ich nur gemacht, wenn ich ganz mutig gewesen wäre, weil ich ... ich ... weil ich ja nicht wusste, dass du mich auch liebst.“
Walt starrte sie mit offenem Mund und weit geöffneten Augen an. Nur mit seinen Ohren schien etwas nicht zu stimmen. Er konnte unmöglich richtig gehört haben.
Allie liefen die Tränen in Strömen die Wangen hinunter, aber sie tat nichts dagegen. „Das wäre so wunderschön gewesen, so romantisch. Und wenn du ehrlich gewesen wärst, dann wäre es auch so gekommen, und dann hätten wir jetzt nicht dieses ... dieses ... Verzweifeln und Heulen und Entschuldigen und ...“
„Augenblick mal. Hast du gerade ... habe ich richtig gehört? Hast du gesagt, dass du mich liebst?“
Verwirrt sah Allie ihn an. „Du hast doch meinen Brief gelesen,
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