Der Klang der Zeit
denn bei euch auch?«
Es steht ihnen ins Gesicht geschrieben, ihnen beiden: eine Gefahr, so groß, dass sie ein solches Verbot hervorbringt. Es gibt keine größere Bedrohung als die der Auslöschung durch zu viel Nähe. Diese Bedrohung war es, derentwegen die Stimme des Jahrhunderts im Freien singen musste. Bedrohung durch Gesang. Wir haben keine Angst vor Unterschieden. Unsere größte Angst gilt der Ähnlichkeit, der Gleichheit, die uns auslöscht. Diese Bedrohung übersteht keine Rasse.
Sie erinnert sich an alles, alles, was vor ihnen liegt. Das Lied ist überall in ihr. Jetzt hat es genau ihre Stimmlage: my country, thee, thee. Sie kennt diesen Jungen. Er will mit aller Macht geboren werden, er treibt sie mit seinem Wollen voran.
»Der Vogel und der Fisch, die machen einen Vosch. Der Fisch und der Vogel, die machen einen Figel.« Er skandiert die Worte, rappt sie, ein drängender, galoppierender Rhythmus. Ein Kontinent erhebt sich. Synkopierte Töne in der Zeit. Er will nur weitermachen, alle denkbaren Kombinationen durchspielen. Will sich selbst ins Leben singen, und das mit meinem Stück, mit meinem Lied.
Bei dem unbändigen, mitreißenden Rhythmus geht dem Mann ein Licht auf. Jetzt erkennt auch er diesen Jungen. Wer soll es denn sonst sein? Was sonst? Das Unausweichliche ergreift Besitz von ihm, durchzuckt ihn mit der ganzen Wucht der Erkenntnis. »Der Vogel kann sein Nest auf dem Wasser bauen.«
Meine Mutter lässt den Blick schweifen über die weite Strecke, die vor ihnen liegt. »Der Fisch kann fliegen.« Sie schlägt die Augen nieder und errötet.
»Sie werden ja rot«, ruft mein Vater aus. Er lernt schnell.
»Ja.« Meine Mutter nickt. Zustimmend und mehr als das, schlimmer als das. »Ja, das gibt es bei uns auch.«
Zentaur 04-07-10
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