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Der Klang des Herzens

Titel: Der Klang des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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Nächte, in denen ihre neugeborenen Kinder zwischen ihnen lagen, in denen sie sie und einander ehrfürchtig angesehen hatten.
    Sie strich mit der Hand über den Seidenstoff der Tagesdecke. Ein sinnlicher Genuss, der nun überflüssig geworden war. Sie war Witwe. Und diese Decke, diese scharlachrote Decke mit ihren aufwändigen Stickereien, erschien ihr nun aufdringlich
erotisch, ein Hohnlied auf ihr Alleinsein. Sie umschlang ihren Oberkörper und versuchte, die aufkeimende Trauer niederzukämpfen, das Gefühl, amputiert zu sein, das sie jedes Mal empfand, wenn sie allein in dem riesigen Bett lag.
    Nebenan saß Thierry vor dem Fernseher, wie sie hören konnte. Oder er war in irgendein Computerspiel vertieft. Sie hatte eine Zeit lang gehofft, dass eins ihrer Kinder ihre musikalische Begabung geerbt haben könnte, doch das war nicht der Fall. Sie hatten wenig bis gar kein Talent und noch weniger Interesse. Vielleicht besser so, dachte sie. Vielleicht ist in dieser Familie ja kein Platz mehr für noch einen, der seine Träume verwirklichen will. Laurent hat mich verwöhnt. Ihm habe ich es zu verdanken, dass ich es konnte.
    Sie hörte, wie Mary zurückkam, wie Kitty herunterlief und sich kurz mit ihr unterhielt. Da stemmte sie sich widerwillig auf die Beine, zog die Bettdecke glatt und ging schweren Herzens nach unten. Kitty saß im Schneidersitz am Sofatisch, vor sich den Stapel , den sie jedoch bereits zerlegt hatte: Mehrere kleinere Stapel, nach privat und geschäftlich getrennt, lagen auf dem Tisch verteilt.
    »Mary ist zum Einkaufen gefahren.«
    Ihre Tochter legte einen Umschlag ab. »Ich dachte, wir sollten vielleicht mal ein paar davon aufmachen.«
    »Das mache ich schon. Du musst mir nicht helfen.« Isabel streichelte ihrer Tochter übers Haar.
    »Ach, zu zweit geht’s leichter.«
    Sie sagte es ganz ohne Groll, und Isabel empfand erneut eine Mischung aus schlechtem Gewissen und Dankbarkeit. Laurent hatte Kitty seine » vieille femme« genannt. Jetzt, im Alter von fünfzehn, hatte ihre Tochter diese Rolle wie selbstverständlich übernommen.
    »Dann mache ich uns einen Tee«, sagte Isabel.
    Mary war schon bei ihnen, seit Kitty ganz klein war. Manchmal dachte Isabel, dass ihr Kindermädchen ihre Kinder besser
kannte als sie selbst. Marys Ruhe, ihre Tüchtigkeit, waren in den letzten Monaten eine große Stütze und ein großer Trost gewesen; ein Anker in einer Welt, die sich plötzlich auf den Kopf gestellt zu haben schien. Isabel wusste nicht, was sie ohne sie hätte anfangen sollen. Kochen, bügeln, Bettwäsche wechseln – alles Dinge, die Mary wie selbstverständlich nebenher machte. Allein beim Gedanken daran, das alles selbst machen zu müssen, wurde Isabel flau im Magen.
    Ich muss stark sein, sagte sie sich. Es könnte schlimmer sein. In einem Jahr werden wir vielleicht schon wieder lachen können.
    Mit zwei vollen Teebechern in den Händen kehrte sie ins Wohnzimmer zurück und drückte ihrer Tochter einen Kuss aufs Haar. Diese blickte auf und wedelte lächelnd mit einem Umschlag. »Die hier müssen wir so schnell wie möglich bezahlen.« Sie reichte Isabel eine Gasrechnung. »Man droht uns mit dem Abschalten. Aber wir können auch telefonisch bezahlen, heißt es hier. Mit Kreditkarte.«
    Isabel öffnete den Kreditkartenauszug. Sie habe versäumt, die Mindestsumme zu überweisen, hieß es da. Der Sollbetrag war enorm; und nun war eine in ihren Augen geradezu groteske Summe hinzugekommen. Isabel schob den Auszug ganz nach unten in den Stapel. Sie hatten kein Geld. Das hatte Mr Cartwright gesagt. »Ich kümmere mich drum«, versprach sie ihrer Tochter. Sie würde die Rechnungen bezahlen. Sie würde das Geld schon irgendwie auftreiben. Alles würde in Ordnung kommen. Was soll ich bloß machen?, fragte sie sich. Wenn ich das eine tue, breche ich ihnen womöglich das Herz. Aber wenn ich das andere tue, breche ich ganz sicher meins.
    »Von wem ist denn das? Diese Schrift kenne ich gar nicht.« Kitty warf ihr ein dickes weißes Kuvert hin, das mit einer schmalen, eleganten Handschrift beschriftet war.
    »Leg’s zur Seite, Schatz. Wahrscheinlich von irgendwelchen
französischen Verwandten deines Vaters, die es jetzt erst erfahren haben.«
    »Nein, es ist an Dad adressiert. Mit dem Vermerk ›persönlich‹.«
    »Dann lege es zu den anderen, den getippten. Gib mir nur das, was wirklich dringend ist. Alles andere lassen wir für den Moment. Ich habe heute einfach nicht die Kraft dafür.«
    Sie war so müde. Sie war

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