Der Klang des Verderbens
lief es in dieser Polizeibehörde genauso wie in ihrer. Ambrose schützte seine Leute vor dem Großteil des Unsinns, der von oben zu ihnen herabgesegelt kam, aber auch seine Macht hatte Grenzen.
Mitchell setzte sich mit ihnen an den Tisch, beantwortete eine Zeit lang ihre Fragen und teilte ihnen alles mit, was er wusste.
Needham und seine Frau waren viel umhergereist. Er hatte im ganzen Land Vorträge gehalten, und sowohl bei den Medien als auch bei wohltätigen Organisationen war er heiß begehrt gewesen. Den »Professor« führte er bloß noch als Titel, da er seit mehreren Semestern nicht mehr an der Northwestern University gelehrt hatte – als Sprachrohr einer ganzen Bewegung war er einfach zu beschäftigt.
Das Haus war abbezahlt. Seine Frau arbeitete nicht. Die Babys waren jedermanns Augensterne, und wie pervers musste jemand eigentlich sein, um so eine Schandtat zu begehen und ausgerechnet durch das Kinderzimmer zu fliehen?
»Wie haben Sie davon erfahren? Hat jemand einen Notruf abgesetzt?«
»Eine Nachbarin rief an und meinte, dass sie in dem Schuppen hinterm Haus Lärm gehört habe. Normalerweise würde man sich um so was keine Sorgen machen, aber weil es die Needhams waren und er ständig irgendwelche Drohungen erhalten hat, wurde eine Streife vorbeigeschickt.«
Ronnie ahnte, wie die Antwort lauten würde, und fragte dennoch: »Was haben sie vorgefunden?«
»Eine Leiter auf dem Boden unter einem der Fenster im zweiten Stock. Das Fenster selbst war beschädigt. Nachdem sie Verstärkung angefordert haben, sind sie reingegangen. Haben die Eltern tot im Bett gefunden und dann nach den Kindern geschaut.«
»Will man sich gar nicht vorstellen«, murmelte Ronnie.
Mitchells Bullenfassade bröckelte ein wenig, und er ließ langsam die Arme sinken. »Allerdings. Ein Kumpel von mir hatte in der Nacht Bereitschaft. Er meint, er würde nie vergessen, was für eine Angst er hatte, als er in das Kinderzimmer zu den Bettchen gegangen ist und nicht wusste, ob ihn dort schlummernde Babys oder blutige Bündel erwarten.«
Dafür hatte sie durchaus Verständnis. Was musste das für ein mieser Augenblick für diese Polizisten gewesen sein! So wie sie mit angehaltenem Atem darauf gewartet hatte, dass das Ungeheuer in dem Video endlich das Haus verließ, ohne die Kinder zu misshandeln oder zu missbrauchen, konnte sie sich nur zu gut vorstellen, wie es diesen Ersthelfern ergangen sein musste.
»Was halten Sie von der Geschichte?«, fragte Sykes.
Mitchell schürzte die Lippen und dachte nach. »Dass wir keine Ahnung haben, wer zum Teufel das getan hat«, gab er schließlich zu. »Könnte einer der tausend Leute gewesen sein, die ihn bedroht haben. Könnte jemand sein, von dem er nie was gehört hat, der seinen Job in einer Rüstungsfabrik verloren hat. Wer weiß?«
Sie wussten es. Na ja, zumindest ansatzweise. Aber das durften sie ihm nicht sagen.
Nachdem er sie über alles in Kenntnis gesetzt hatte, gab Mitchell jedem von ihnen einen Speicherstick mit Kopien von allen Dokumenten und Fotografien, die auf dem Tisch ausgebreitet lagen. Dankbar nahmen sie sie an, genau wie das Angebot für eine Tasse Kaffee.
»Ich muss zu einer Besprechung. Wenn ich fertig bin, kann ich Sie zum Tatort fahren. In der Zwischenzeit schauen Sie sich gerne die Unterlagen an.«
Ronnie hatte nicht die geringste Lust, dieses Haus zu betreten, aber sie wusste, dass sie darum nicht herumkamen.
»Danke.« Es war eindeutig einfacher, sich die Unterlagen auf Papier anzuschauen als in elektronischer Form. Das war zwar die altmodische Variante, aber an einem kleinen Bildschirm glitten die Augen manchmal einfach zu schnell über etwas hinweg.
Mitchell ließ sie allein in dem Besprechungszimmer zurück, und sie machten sich an die Arbeit, indem sie die Haufen untereinander aufteilten. Sykes begann mit den bekannten Verdächtigen, die den Mann in der Vergangenheit bedroht hatten, Ronnie fing mit dem Bericht des Gerichtsmediziners und den Informationen über die Beweisstücke an, die am Tatort gefunden worden waren.
Eigentlich wusste sie gar nicht, wonach sie Ausschau hielt. Sie hatten fast jede Minute gesehen, die dieses Schwein im Haus der Needhams verbracht hatte. Soweit sie wussten, hatte er keine Spuren hinterlassen. Dennoch spielte der Kerl gern Spielchen. Es war durchaus denkbar, dass er beschlossen hatte, wieder eins zu inszenieren und einen Hinweis zu hinterlassen, aber den Beweis dafür aus dem Video herauszuschneiden. Sie würden den Tatort
Weitere Kostenlose Bücher