Der Klang des Verderbens
Zurück.
Gestern mussten seine Mails angekommen sein und waren inzwischen mit Sicherheit gelesen worden. Detective Sloan und Special Agent Sykes hatten vom Mord an Angelo Ortiz erfahren. In zwei Tagen würden sie sehen, was er in Chicago getan hatte.
Die erste Nachricht war sein Eröffnungsschlag gewesen, um ihr Interesse zu wecken. Wenn er wirklich die Aufmerksamkeit der ganzen Welt erlangen wollte, brauchte er ein bisschen Unterstützung von den Behörden. Dieser Kerl, der die Morde im Weißen Haus verübt hatte, hatte es jedenfalls in alle Zeitungen geschafft. Nick hatte gewusst, dass die Cops, die in den Artikeln erwähnt wurden, OEP -Ermittler waren – verdammt, er war Sloan sogar selbst einmal begegnet. Daher waren sie ihm als guter Ausgangspunkt erschienen.
Seine Stimme
würde
Gehör finden. Er war vielleicht nicht in der Lage, zu ändern, was geschehen war, aber er würde die Menschen dazu bringen, gut über ihre Entscheidungen nachzudenken, verdammt noch mal. Die Morde waren nur ein Teil davon. Die Lehre daraus war das eigentlich Wichtige.
Die zweite E-Mail, die jeder von ihnen kriegte, würde auch die letzten Zweifel ausräumen. Was sonst?
Sogar er selbst war betroffen gewesen, als er sich die Bilder jener kalten Nacht in Chicago aus dem Apparat in seinem Kopf heruntergeladen und angeschaut hatte. Ein stilles Kinderzimmer, die gerahmten Illustrationen aus dem Kinderbuch »Die Märchen der Mutter Gans«, diese unschuldig verwuschelten Schöpfe in ihren Bettchen, als er in ihr Zimmer geschlichen war.
Ja, das würde den Stein endgültig ins Rollen bringen. Und Nick würde sich in den Augen der OEP -Ermittler von einem Mann auf Rachefeldzug zu einem herzlosen, brutalen Ungeheuer mausern.
Zwar wusste Jeremy, dass Ronnie diejenige sein wollte, die in die Maschine mit dem lächerlichen Namen Tor zur Vergangenheit stieg, doch das würde er nicht zulassen. Er würde selbst in dieses Erlebnis eintauchen und eins mit dem brutalen Mörder werden, der solch schreckliche, verheerende Schmerzen und Verletzungen bei einem anderen Menschen verursacht hatte und zwei weitere skrupellos und fachmännisch hingerichtet hatte.
Wahrscheinlich würde sie widersprechen. Wenn sie den Eindruck hatte, dass er ihr nicht zutraute, damit fertigzuwerden, würde sie sauer werden. Stinksauer.
Aber darum ging es nicht. Ronnie wurde mit allem fertig … das wusste er. Er hatte es selbst gesehen. Aber auch wenn er in einer Million Jahren nicht so blöd wäre, ihr den Eindruck zu vermitteln, er würde sie beschützen wollen – was allerdings der Fall war –, konnte er einfach nicht zulassen, dass sie wieder denselben dunklen, blutigen Pfad betrat, der ihr beim letzten Mal schon so viel abverlangt hatte. Sie hatte genug Dunkelheit gehabt. Genug Blut. Genug Schmerz. Nur weil sie in der Lage war, diese Last zu tragen, hieß das nicht, dass sie das auch
musste
.
Ronnie war diejenige gewesen, die im Verlauf ihrer vorigen Ermittlung in das Tor zu Dantes neuntem Höllenkreis hatte treten müssen. Und er hatte ihr zugesehen, ohne sich ihr nähern zu dürfen, hatte sie hinterher in den Arm nehmen und sie davon abhalten wollen, sich je wieder so was anzutun.
Als sie noch nicht wussten, dass Dr. Tate und Dr. Cavanaugh ihre Ankündigung tatsächlich wahr gemacht und ihre ungewöhnliche »Maschine« gebaut hatten, hatten sie beide die OEP -Videos zunächst auf die herkömmliche Art angeschaut. Schon mit ihrer topmodernen Computerausrüstung waren die Bilder entsetzlich gewesen … die perfekte Vorlage für Albträume. Doch dann hatten sie erfahren, dass sie noch einen Schritt weiter gehen konnten. Als Daniels angegriffen worden war, hatte Ronnie darauf bestanden, diejenige zu sein, die diesen Schritt unternahm.
Ihr Partner. Ihre Entscheidung.
Indem sie auf diese Matte getreten war, hatte sie die schmerzhaften Erinnerungen der Opfer in sich aufgenommen und sich von deren Angst, deren Qual, deren Traurigkeit ausfüllen lassen. Sie hatte den Übergriff auf ihren Partner auf eine Art erfahren, wie niemand je das Leid eines geliebten Menschen durchleben sollte. Das würde sie nie wieder loslassen. Diese dunklen Minuten hatten sich ihr so tief in die Seele gebrannt, wie es wahrscheinlich nicht einmal bei Daniels der Fall war, der sich gar nicht an alles erinnern konnte.
Der Tauchgang in diese Welt hatte sie stark verändert. Vorher war sie eine freche, geradlinige, selbstsichere, unglaublich attraktive Frau gewesen, die sich nie entmutigen
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