Der Klang des Verderbens
Verlust niederschmettern.
Aber das schaffte sie nicht. Sie würde es nie schaffen, da stand sie jetzt schon auf verlorenem Posten. Sie liebte ihre Mutter. Sie liebte ihren Partner – wenn auch nicht auf die Art, wie Daniels sich das wohl wünschte. Sie liebte diese Nervensäge von Friseur, der nebenan wohnte. Sie liebte ihren Chef, und sie liebte … ihn.
Sie liebte
ihn
. Und zwar auf genau die Art, wie er es sich wünschte. Das wusste er. Sie war nur noch nicht bereit, das zu glauben.
»Und worum geht’s hier dann, wenn du nicht den strahlenden Ritter für die holde Maid in Not spielen willst?«
Jeremy musste prusten. Ronnie als holde Maid – diese Vorstellung war noch lächerlicher als eine
schwache
Ronnie.
»Ich will bloß, dass es gerecht zugeht«, beharrte er. »Es gibt keinen Grund, warum nur du dir all die wahnsinnigen Bilder antun solltest, die gemeingefährliche Geisteskranke oder ihre Opfer hinterlassen.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Ist doch genug für alle da!«
Sie ließ sich nicht ablenken. »Bist du sicher?«
»Na klar. Wir wechseln uns ab. Nächstes Mal bist du wieder dran. Hoffentlich geht es bei unserem nächsten Fall um jemanden, der bei Sonnenschein in der Karibik dümpelt.«
»Ich hab Angst vor Haien.«
»Du hast vor gar nichts Angst, Sloan.«
Sie kicherte. »Stimmt.«
»Außer vor mir«, murmelte er vor sich hin.
Natürlich nicht körperlich. In diesem Sinne stellte er weiß Gott keine Bedrohung für sie dar. Aber er bedrohte ihr Gleichgewicht, ihre normale, wohlgeordnete Sicht auf sich selbst und ihre Zukunft. Das wusste er genau.
Sie hatte es gehört. Ihre Augen weiteten sich ein wenig, und sie schnappte fast hörbar nach Luft. Also hatte sie seine Bemerkung genau so aufgefasst, wie sie gemeint gewesen war. Ihr Blick glitt rasch zu Dr. Cavanaugh, aber die junge Frau tippte eifrig Nachrichten auf ihrem Palm und schenkte ihrem Gespräch überhaupt keine Beachtung.
Weder entschuldigte er sich, noch führte er seine Bemerkung aus. Ganz allmählich würde er sie dahin bekommen, wo er sie haben wollte – erst eine unschuldige Bemerkung, dann ein unverblümter Kommentar, eine zärtliche Berührung nach einem feurigen Kuss – so würde er sich um den Schutzwall herumarbeiten, hinter dem sie sich so verzweifelt zu verstecken versuchte.
»Also abgemacht?«, fragte er und warf ihr einen Blick zu, der sie geradezu einlud, seiner Forderung zu widersprechen. Doch das würde sie nicht tun, solange Cavanaugh mit im Raum war. Aber seine Bemerkung hatte gereicht, um sie von dem Streit abzulenken, wer sich heute quälen durfte.
»Abgemacht.«
Erleichtert sah er zu, wie Dr. Cavanaugh die Maschine hochfuhr und das Programm startete.
»Fangen wir mit Ihrer Datei an, Agent Sykes, oder mit Detective Sloans?«
Seine oder ihre? Hm. Ganz sicher würde keiner von ihnen einen Besitzanspruch auf diese Filmchen anmelden.
»Fangen wir mit dem Video an, das ich bekommen habe«, schlug er vor, »da er mir die Mail zuerst hat zukommen lassen.«
»Gute Idee«, stimmte Ronnie zu.
Dr. Cavanaugh nahm die letzten Einstellungen vor, während Jeremy sich den Ablauf noch einmal vergegenwärtigte. Er hatte das Ganze bereits von außen beobachtet, hatte gesehen, wie eine diesige Welt der Erinnerung Ronnie umgeben hatte, so nebelhaft und unwirklich wie ein dunstiger Traum, und doch so anschaulich, dass sie zwischendurch von drinnen aufgestöhnt hatte. Er hätte sie jederzeit von der Matte zerren und aus diesem Albtraum herausreißen können, doch das hatte er kein einziges Mal getan, denn sie wäre garantiert nicht gerade erfreut, wenn er zu wissen meinte, was das Beste für sie war.
Vielleicht wusste er das auch nicht, nicht in jeder Hinsicht. Aber eins tat ihr gut, da war er sich ganz sicher.
Er selbst.
Sie beide.
Ronnie hatte es bisher nicht zugegeben, aber sie brauchte ihn. Genau wie er sie brauchte.
»Also gut, Agent Sykes, jetzt ist alles bereit«, sagte die kompetente Wissenschaftlerin, die seinen Ausflug in die Höllenwelt fertig vorbereitet hatte. »Sie wissen, wie es geht?«
»Ich glaube schon.«
»Bleiben Sie einfach still stehen«, erklärte sie. »Am Anfang werden Sie aus dem Gleichgewicht geraten. Wahrscheinlich wird Ihnen ein bisschen schwindelig, als gäbe es keine Verbindung zwischen Ihren Augen und Ihrem Körper. Sie werden das Gefühl haben, sich zu bewegen, und könnten versucht sein herumzulaufen. Tun Sie’s nicht. Sobald Sie von der Matte steigen, bricht alles ab.«
Wenn
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