Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Klang des Verderbens

Der Klang des Verderbens

Titel: Der Klang des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leslie Parrish
Vom Netzwerk:
Ronnie auf der Matte bleiben und still stehen konnte, während sie das Gefühl hatte, nach hinten zu kippen – erstochen, erschossen, angegriffen von einem verschwommenen, in Schwarz gehüllten Feind –, dann kriegte er es wohl hin, aus ein paar Metern Entfernung eine grausam zugerichtete Leiche anzuschauen.
    »Bist du dir ganz sicher, Jeremy?«, fragte Ronnie.
    »Natürlich. Warum solltest du den ganzen Spaß alleine haben?«
    Sie durchschaute seinen missglückten Versuch zu scherzen und nickte ihm mit trauriger Miene aufmunternd zu.
    Er trat auf die Matte. Sogleich setzte sein Körpergewicht den Prozess in Gang, und der gesamte Raum versank in Schwärze. Unter ihm leuchtete die Matte auf, und winzige Strahlen gedeckten Lichts stiegen auf; nicht schnell, hart und stechend, sondern langsam, fast wie im Traum. Er konzentrierte sich auf seinen Atem – ein, aus, langsamer, aus – und sah zu, wie sich um ihn herum Wände formten.
    Genau vor seinem Gesicht, wo eben noch absolut gar nichts gewesen war: Betonsteine. Weiß. Pures Weiß. So realistisch, dass er die kleinen Kerben sah, die winzigen Bläschen in der Farbe, die wenigen Schmutzflecken, die schwache Körnung des Mörtels.
    Ohne auf seinen Reiseführer zu warten, begann er sich umzusehen, und obwohl in den ersten langen Augenblicken des Videos nur dieser eine rechteckige Ausschnitt zu sehen gewesen war, hatte die Maschine bereits alle verfügbaren Daten verarbeitet, um eine Welt um ihn herum zu errichten und die Leinwand vorzubereiten, auf der die restlichen Bilder entstehen würden. Das bedeutete, dass der gesamte Raum bereits da war – das Waschbecken, der blutverschmierte Spiegel, die geschlossene Tür.
    Und dann … das Opfer. Guter Gott, das Opfer.
    Jeremy schloss kurz die Augen und widerstand dem natürlichen Drang, die Hand auszustrecken und jemandem zu helfen, dem nicht mehr zu helfen war. Jeremy hatte bereits zuvor Mordopfer gesehen, und zwar nicht wenige. Aber einem davon – das wahrscheinlich nur wenige Augenblicke, bevor diese Bilder aufgenommen worden waren, gestorben war – so unglaublich nahe zu sein, war unmenschlich. Vor allem wenn er auf seine eigene Hand sah, die von einer anderen schemenhaften, behandschuhten umhüllt war, die Finger in einem Schlagring, und wenn er dann dachte, dass er derjenige war, der dieses Blutbad angerichtet hatte.
    Das warst nicht du. Das ist nicht deine Hand. Reiß dich zusammen.
    Etwas gefasster machte er die Augen wieder auf. Dass diese seltsame Welt schwarz-weiß war, half ihm, ein wenig Distanz zu wahren; unvorstellbar, wie schlimm es sein musste, in einem Meer von Rot zu stehen.
    Dann wappnete er sich dafür, die Leiche in Augenschein zu nehmen. Unwillkürlich beugte er sich sogar hinunter, um sie genauer betrachten zu können. Er war schockiert, wie viele Details er sah, die auf dem Computerbildschirm nicht zu erkennen gewesen waren.
    »Großer Gott, man sieht jede einzelne Hautpore«, murmelte er.
    »Erstaunlich, nicht wahr?«, rief Dr. Cavanaugh, die immer noch im Raum war.
    Diese Frau mochte ja ein Genie sein, aber mitunter bewies sie einen verblüffenden Mangel an Feingefühl. Sie klang fast vergnügt, als sie ihre Erfindung anpries.
    »Grauenhaft, würde ich eher sagen«, gab er zurück.
    Er ließ den Blick kreuz und quer über die Leiche wandern, machte sich ein Bild vom Ausmaß der Misshandlungen und fragte sich gleichzeitig, wie sie dem Mann zugefügt worden waren. Das Opfer war offensichtlich festgeschnallt gewesen. Ganz eindeutig schnitten die Fesseln in das geschwollene Fleisch an Knöcheln und Handgelenken, und er sah die dicken Kettenglieder, die an dem schweren Metallstuhl befestigt waren, der wiederum am Zementfußboden festgeschraubt war.
    Der Raum war für einen einzigen Zweck angelegt worden, und sein Gestalter hätte sich bestimmt nie gedacht, dass er einmal selbst auf diesem Stuhl sitzen würde. Was hatte ihn dazu gebracht, die Folterkammer zu betreten? Die Wachen hatte der Mörder ja erschossen, also hatte er eine Waffe besessen. Aber Ortiz sah nicht aus wie einer, der einfach die Hände hochnahm und jemandem blind gehorchte, der in sein Haus eindrang. Wenn er nicht vollkommen überrumpelt worden war, hätte er sich widersetzt.
    Er legte den Kopf schräg und betrachtete einen winzigen schwarzen Fleck. »Ronnie?«
    »Ja?«
    »Ist dir irgendwas in seinem linken Ohr aufgefallen?«
    »Hat er das noch?«
    »Na ja, es sitzt nicht mehr so fest dran. Aber ich meine, in dem ganzen Blut was

Weitere Kostenlose Bücher