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Der Klang des Verderbens

Der Klang des Verderbens

Titel: Der Klang des Verderbens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leslie Parrish
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hatte sie töten wollen. Nur einen einzigen Moment lang hatte er überlegt, dieses
fried
volle Kissen zu den Kinderbetten zu tragen, es auf eins der Gesichtchen zu legen und zuzudrücken.
    »Großer Gott, was ist los mit mir?«, stieß er hervor und ließ sich schockiert aufs Bett fallen. Er fuhr sich durchs Haar und zog daran, als er spürte, wie wieder dieser Kopfschmerz einsetzte, der ihn schon länger plagte. »Wer
bin
ich?«
    Er wusste es nicht. Auf einmal konnte er sich nicht daran erinnern. Nicht an seinen Namen, nicht an sein Leben, seine Vergangenheit, sein Projekt, nicht an den Grund für seinen flammenden Zorn oder den quälenden Schmerz in seinem Kopf.
    Ein Klingeln drang an sein Ohr. Er fuhr zusammen, schaute aufs Telefon und sah das Bild seiner Frau.
    Das beruhigte ihn. Sein Verstand setzte wieder ein, holte ihn in die Realität zurück.
    Sein Atem beruhigte sich, sein Herzschlag hörte auf zu rasen. Er glättete sein Haar, dann sah er sich im Zimmer um. Es herrschte völliges Chaos – hatte wirklich er das angerichtet? Es war nur wenige Augenblicke her, doch zwischen ihm und der Erinnerung daran schien ein langer dunkler Tunnel zu liegen.
    Gleichzeitig kam es ihm vor, als lägen die Ereignisse vom August lediglich eine Stunde zurück.
    Das Telefon klingelte weiter. Er würde den Anruf nicht ignorieren. Seine Frau war immer noch zu empfindsam, rechnete zu rasch mit dem Schlimmsten, wenn sie ihn nicht erreichen konnte. Früher war sie einmal unbeschwert und optimistisch gewesen. Auch er selbst war einmal unbekümmert durchs Leben gegangen. Nun waren sie beide paranoid und misstrauisch. Überzeugt, dass schlimme Dinge nicht nur geschehen konnten, sondern geschehen
würden
.
    Er betrachtete die Essensspuren an der Tapete, die zerknitterten Betttücher. Hoffentlich hatte ihn niemand von nebenan gehört und sich an der Rezeption beschwert.
    Er nahm das Telefon mit zu einem Sessel in der Ecke am Fenster, wo sie das Durcheinander nicht sehen konnte, und rief sie mit einem Knopfdruck zurück. Rasch ordnete er seine Kleider und hoffte, dass ihr der Irrsinn in seinen Augen nicht auffiel und sie nicht merkte, dass er wieder gegen eine Migräne ankämpfte.
    Sie nahm sofort ab. »Wo warst du? Ich habe versucht, dich zu erreichen.«
    »Ich weiß, tut mir leid. Ich war im Bad.«
    »Oh. Ist alles in Ordnung? – Du siehst nicht besonders gut aus. Du bist blass.«
    »Mir geht’s gut«, widersprach er.
    »Hast du etwa schon wieder Kopfschmerzen?«
    Er log, damit sie sich keine Sorgen machte. »Nein, ehrlich. Mir geht’s gut. Und dir?«
    »Mir auch.«
    Ihre Stimme klang leise und dünn. Ihre Augen waren zwar trocken, sahen aber gerötet und geschwollen aus.
    Kein guter Tag. Sie hatte geweint. Schon wieder.
    »Bist du sicher?«, fragte er und war abgelenkt von seinem eigenen Schmerz. Ihr Leiden konnte keine Medizin heilen, konnten keine Pillen lindern. Er wusste es. Denn er empfand
diesen
Schmerz ebenfalls, jeden Tag.
    »Ja. Ich vermisse dich bloß. Ich wünschte, du wärst zu Hause.«
    »Was ist passiert?«
    »Nichts. Ich habe nur vorhin den Weihnachtsschmuck ausgepackt und mich einsam gefühlt.«
    »Ich dachte, wir wollten das dieses Jahr weglassen«, sagte er. Das war ihre Entscheidung gewesen. Er hatte eingewilligt.
    »Ich weiß. Aber ich dachte, vielleicht hänge ich nur ein oder zwei Sachen auf, die uns aufmuntern.«
    Hin und wieder war sie tatsächlich beinahe munter. Hin und wieder schien sie die Tragödie zu vergessen, und für einen kurzen Augenblick erhaschte er einen Blick auf die Frau, die er sein halbes Leben lang geliebt hatte. Dann holte irgendetwas ihre Erinnerung daran zurück, und die Traurigkeit kehrte wieder, tiefer und schmerzlicher als zuvor.
    Der Schatten würde sie nie verlassen – würde sie beide nie verlassen, und auch den Rest der Familie nicht. Sie alle konnten lediglich lernen, damit zu leben.
    Oder bei dem Versuch sterben, ein bisschen Licht ins Dunkel zu bringen.
    »Mir ist ein kleiner Baumschmuck in die Hände gefallen, den Em uns vor Jahren geschickt hat. Die Kinder haben ihn in der Grundschule gebastelt.«
    Er presste die Zähne aufeinander. Tränen brannten ihm in den Augen. »Nicht, Schatz. Tu das bitte nicht.«
    »Ich weiß. Es tut mir leid.« Sie schniefte wieder, und er sah, wie ihr die Tränen in die Augen traten und dem Pfad folgten, den schon so viele zuvor in ihr Gesicht gegraben hatten.
    »Bitte nicht weinen.«
    »Es tut mir leid, ich wollte nicht so sein. Wie gesagt, ich

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