Der Klang des Verderbens
getan hätten. Ronnie war der Lausbub im Hause Sloan gewesen, schon bevor das Schicksal ihr einen Panzer aus Stahl verpasst hatte.
Sykes beugte sich vor und tätschelte der älteren Dame die Hand. Er war gut in solchen Dingen, ging verständnisvoll mit Zeugen um und gab ihnen das Gefühl, an ihrem Schmerz Anteil zu nehmen. Seit sie die Wohnung betreten und sich vorgestellt hatten, hielt Ronnie sich zurück, denn mit ihrer unverblümten Art hätte sie nie etwas aus Angelos trauernder Mama herausbekommen.
»Mrs Ortiz, fällt Ihnen noch irgendwas ein, das uns dabei helfen könnte, denjenigen zu finden, der Ihrem Sohn das angetan hat?«
Die schniefende Frau – eine ältere Version ihrer Tochter, deren Gesicht zusätzliche dreißig Jahre der Sorge zeichneten und deren Hände verrieten, dass diese Jahre von mühevoller Arbeit geprägt gewesen waren – schüttelte langsam den Kopf. »Die Leute sagen nicht besonders nette Dinge über ihn, aber Angelo war immer gut zu mir. Er hat sich um mich gekümmert, hat die Ausbildung seiner Schwester bezahlt …«
Nämliche Schwester ließ ein leises Schnauben hören. Große Dankbarkeit schien sie nicht zu verspüren.
»Er hat viel der Kirche gespendet. Der Familie seines Vaters hat er Geld runter in den Süden geschickt.«
Was das für Geld war, konnte Ronnie sich vorstellen.
»Nie hätte er jemandem wehgetan. Vielleicht hatte er was mit Drogen zu tun, als er jung war, hat vielleicht ein bisschen … wie sagt man, Verschiedenes ausprobiert? Aber er hat nichts getan, womit er so ein Schicksal verdient hätte.«
»Da bin ich mir sicher«, erwiderte Sykes und schaffte es irgendwie, das ehrlich klingen zu lassen. »Und Angelo hat Ihnen in letzter Zeit nicht erzählt, dass ihm jemand das Leben schwergemacht hätte? Irgendwelche Streitereien?«
Sie machte eine abwehrende Handbewegung. »Nein, nein. Alle haben ihn immer geliebt.«
Bevor sie noch etwas hinzufügen konnte, klopfte es an der Wohnungstür. Ronnie erstarrte umgehend, denn sie war sich wohl bewusst, in was für einer Gegend sie sich aufhielten und mit welchem Argwohn – oder unverhohlenem Hass – alle Polizeibeamten hier betrachtet wurden.
»Das ist bestimmt Diakon Clark«, seufzte die Frau und hielt sich das Taschentuch vor den Mund. »Er oder Pater Paul kommen mich zurzeit jeden Tag besuchen.«
Monica machte die Tür auf und begrüßte einen hochgewachsenen, vornehm aussehenden weißen Herrn, der sie freundlich anlächelte und ihr die Hand schüttelte, bevor er hereinkam.
»Entschuldigen Sie, störe ich gerade?«
»Nein, nein, Mr Clark, ich erzähle gerade von meinem lieben Angelo.«
Der Mann setzte sich neben Mrs Ortiz auf das Sofa, nahm vorsichtig ihre Hand und murmelte leise, tröstende Worte.
»Das Ganze ist sehr schwer für Mrs Ortiz und ihre Familie«, sagte er an Ronnie und Jeremy gewandt.
»Kannten Sie Angelo?«, fragte Ronnie.
Ohne Mrs Ortiz’ Hand loszulassen, schüttelte der Mann den Kopf. »Nein. Eigentlich bin ich neu in dieser Gegend, erst vor zwei Monaten bin ich hierhergezogen. Mrs Ortiz war eines der ersten Gemeindemitglieder, die mit einem Willkommensgeschenk für meine Frau und mich bei uns geklingelt haben.«
Also gut, dann war die Mutter ihres Opfer eine Heilige, seine Schwester intelligent, ehrgeizig und mutig. Wie zum Teufel war da aus Angelo das geworden, was er war?
Sie unterhielten sich noch einige Minuten, und die trauernde Mutter fand sichtlich Trost in dem Mann an ihrer Seite. Er mischte sich nicht ein, sondern strahlte lediglich Ruhe und Stärke aus, bot Halt. Ronnie fragte sich, ob ihre Mutter vielleicht ein wenig besser mit ihrem Schicksal zurechtgekommen wäre, wenn sie ebenso fromm wäre wie diese Frau. Vielleicht fand man sich leichter mit dem Tod ab, wenn man Kraft aus einer solchen religiösen Überzeugung schöpfte – aus der Gewissheit, dass die Angehörigen nun an einem besseren Ort waren.
In dem Punkt war Ronnie selbst hin- und hergerissen. An manchen Tagen … tja, an manchen Tagen glaubte sie mit jeder Faser ihres Herzens an Gott. In anderen Momenten, wenn sie zum Beispiel darüber nachdachte, was sie am 20. Oktober erlebt hatte, konnte sie sich des Gedankens nicht erwehren, dass es unmöglich eine Hölle geben konnte, denn nichts konnte schlimmer sein als einige der Dinge, die hier auf Erden geschahen. Und wenn es keine Hölle gab, gab es dann überhaupt einen Himmel? Sie wusste es einfach nicht.
So oder so, offensichtlich half Mrs Ortiz ihr Glaube in der
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