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Der Klavierstimmer

Der Klavierstimmer

Titel: Der Klavierstimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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spottbillige Unterkunft. In einer ursprünglich großzügigen Wohnung hatte man nachträglich Wände eingezogen, die dünn wie Pappe waren. Man hörte jedes Wort aus dem Nebenraum, und vor allem hörte man die stampfende Musik, die den ganzen Tag über lief.
    In meiner wütenden Verlassenheit arbeitete ich meine Übungsbücher durch, wobei ich die Tonbänder so laut abhörte, daß meine Stimme krächzte. Ich stemmte mich gegen die Musik, und ich stemmte mich gegen das immer wieder hereinbrechende sprachliche Unverständnis, es war alles ein einziges verzweifeltes Stemmen gegen die neue Welt. El suizo, der Schweizer, hieß ich bei den anderen. Es verletzte mich, daß sie mich nicht beim Namen nannten. Es kam jedoch nicht von ungefähr; in meinem verbissenen, rastlosen Lernen muß ich ihnen fremd und unzugänglich vorgekommen sein.
    Was denn das fernere Ziel dieses Lernens sei, fragten sie mich nach zwei, drei Wochen, als wir in der Küche zusammensaßen. Estar aquí, sagte ich. Hier zu sein. Im ersten Augenblick dachte ich, ich hätte es nur deshalb gesagt, weil es einfach zu sagen war. Doch dann spürte ich, wie treffend die Antwort gewesen war. Als einen Spaßvogel kannten mich die anderen nicht gerade, und so zögerten sie, bevor sie in Gelächter ausbrachen. Doch dann wurde meine Antwort zum geflügelten Wort, das jeder Gast über mich zu hören bekam. Als ich auszog, sagte einer: Jetzt wirst du lernen, dort zu sein.
    Bei Berlitz habe ich mich durch einen tollkühnen Poker eingeführt. Einzelunterricht war zu teuer, vor einer Anfängerklasse aber graute mir; ich kannte meine Ungeduld. Im ersten Gespräch mit der Leitung redete ich mit solcher Geschwindigkeit und Bestimmtheit französisch, daß Señor Ormazabal, ein hagerer Mann mit scharfgeschnittenem Gesicht, gar nicht dazu kam, mein Spanisch auf die Probe zu stellen. Eher hatte ich das Gefühl, er wolle sein Französisch unter Beweis stellen. Ich sagte, ich wolle in der mittleren Stufe einsteigen, und als er davon sprach, daß die Schule eine solche Entscheidung auf der Grundlage eines spanischen Essays treffe, nickte ich wie zu etwas Selbstverständlichem. Ob es mir morgen früh passen würde, fragte er. Ich weiß noch genau, wie ich sagte: de acuerdo.
    Es war ein kalter Wintermorgen, aber ich fröstelte nicht nur deshalb, als ich ins Inca de Oro ging. In vierundzwanzig Stunden einen spanischen Essay vorzubereiten, das war unmöglich. Was tun? Da geschah etwas Unerwartetes: Mit einemmal, Vater, sah ich ganz deutlich jene Fotografie vor mir, die dich als Zögling im Heim zeigt. Schon damals war das herausfordernde Lächeln, das Gygax zur Weißglut bringen konnte, auf deinen Lippen und in deinen Augen. Jetzt, kaum eine Woche nach meiner Flucht vor dir, kam es mir zu Hilfe. Ich kaufte eine Touristenzeitschrift über die Schweiz. Zu Hause lernte ich einen der Artikel auswendig. Ich konnte mir einiges zusammenreimen, so wie man sich über die Grenzen romanischer Sprachen hinweg Dinge zusammenreimen kann. Doch beim Memorieren ging ich wie über spiegelglattes Eis, ohne Halt und ohne das geringste Gefühl für richtig und falsch. Erst in den frühen Morgenstunden hatte ich den Eindruck, es schaffen zu können. Zwei Stunden Schlaf, und alles schien wie ausgelöscht. Doch als ich mich in der Schule an den Tisch setzte, war es wieder da, und ich schrieb die Wörter nacheinander hin, meist aus dem visuellen Gedächtnis. Es reichte, und am nächsten Tag saß ich in der gewünschten Klasse.
    Spanisch wurde mir zur Sprache der Verlassenheit. Ihr Klang vermischte sich mit der imaginären Kälte, die auch in den heißen Monaten nicht aus meinem Gesicht weichen wollte. Mir schien, als müßten sich all diese spanisch sprechenden Menschen hier genauso verlassen fühlen wie ich, und wenn sie sich dann nicht so benahmen, schien es mir eine Lüge. Im Traum lachten mich spanischsprechende Menschen aus, weil ich auf ihren Bluff hereingefallen war. Dann sann ich den halben Tag darüber nach, wie das Eingeständnis von Verlassenheit, wie es in jenem Lachen eingeschlossen war, so heiter und frech klingen konnte.
    Erst indem ich Paco sprechen lehrte, wurde das Spanische auch zu meiner Sprache. (Als es soweit war, Patty, empfand ich es als Unglück: Nun konnte ich eine Sprache, welche dir nicht geläufig war. Es war, als würde ich von dir weggespült. Dieses Gefühl glich einem anderen, das mich ausfüllte, als ich in Valparaiso am Strand stand: Das war der falsche Ozean, ich führe in

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