Der Klavierstimmer
Angst auf einmal habe ich selten gesehen, und noch nie hatte ich es mit Leuten zu tun gehabt, die ein derartig rotziges Gebaren als Schutzschild vor sich herschoben. Wann der Fahrer das Zeug denn in ihre Taschen hätte praktizieren sollen, fragte der Beamte, der mit Teniente angeredet werden wollte.
«Beim Tanken, du Blödmann, als wir alle aufs Klo mußten», sagte einer der Jungs.
«Eine naheliegende Frage», übersetzte ich,«er muß es getan haben, als wir alle auf der Toilette waren, bei einer Tankstelle. »
Ob sie bereit seien, sich auf Einstiche und Kokainspuren in der Nase untersuchen zu lassen?
«Das würde dir so passen, du geiler Sack», zischte das Mädchen.
«Selbstverständlich», übersetzte ich,«aber vorher möchten wir wissen, ob sich unsere Fingerabdrücke auf den Rauschgiftbeuteln gefunden haben.»
Sie hatten sich nicht gefunden, und da auch die Armbeugen der Kinder (denn so kamen sie mir vor) unverdächtig aussahen, ließ man uns schließlich gehen. Die Botschaft war beeindruckt, und als es mir einige Zeit danach gelang, auch einen schweizerischen Touristen, dem sie Fahrerflucht anhängen wollten, herauszuhauen, begann sich mein Ruf als der Mann für Engpässe zu festigen.«Sie sollten Fürsprech werden!»sagten sie in der Botschaft.
Bis dahin und noch einige Zeit darüber hinaus bewirkte ich mit fälschendem und unvollständigem Übersetzen Gutes. Was mich dabei faszinierte, war der Widerspruch zwischen den Gesichtern und den Worten. Da trafen erbitterte Blicke aufeinander, während ich die freundlichsten Worte überbrachte. Leute gingen mit strahlenden Gesichtern aufeinander zu und trauten ihren Ohren nicht, wenn sie meine ironischen oder verächtlichen Worte hörten. Ungläubig verbuchten sie die verblüffenden Botschaften als Irrtum und machten wie geplant weiter.
Es kam beim Fälschen auf die richtige Dosierung an, das merkte ich bald. Wenn die Kluft zwischen dem Erwarteten und dem Gehörten zu groß war, blieb die beabsichtigte Wirkung aus, weil sich der Gedanke an ein Mißverständnis aufdrängte. Durch Wortfälschung Mißstimmung zu erzeugen ist eine hohe Kunst. Die Fälschung muß gerade noch glaubwürdig sein, und wenn man als wortjonglierender Drahtzieher einen dramatischen Höhepunkt des Gesprächs herbeiführen will, muß man es durch behutsame Steigerung tun.
Einfach wundervoll sind die Momente, wo die Gesprächspartner einen Verdacht gegen den Dolmetscher fassen. Das dauert lange, der Gedanke erscheint abenteuerlich. (Was sollte das Motiv sein?) Wenn es schließlich geschieht, entsteht eine Situation, in der sich die Beteiligten mit stummen Gedanken ineinander verhaken, ohne daß diese Gedanken ihren Weg nach draußen finden können, denn der Verdacht ist schlechterdings nicht zu beweisen. Den Blicken, die mir die verwirrten Gesprächspartner jeweils zuwarfen, schickte ich ein Starren voll von fragender Unschuld entgegen, das den Argwohn abwehren sollte, noch bevor er mich ganz erreicht hatte. Nur selten ging ich so weit, den schweigsamen Verdacht durch mein Gesicht zu bestätigen, um durch ein Lächeln hinzuzufügen: Aber beweisen können Sie es nicht.
So war es bei Hannes von Graffenried, einem Schachgroßmeister aus Bern, der in Santiago gegen die Lokalmatadoren Ibarra und Reyes antrat. Von Graffenried hat wirklich nur diese eine Begabung: Schach. Von Fremdsprachen keine Spur, nicht einmal des Hochdeutschen ist er wirklich mächtig. Das hindert ihn nicht daran, als weltläufiger Dandy aufzutreten. Der Aufwand, den der Mann mit seiner Kleidung, seinen Brillen, seiner Frisur und seinen Hüten treibt, ist unglaublich. Die Klatschblätter überboten sich denn auch mit skurrilen Schnappschüssen von früheren Turnieren. Er wohnte im besten Hotel der Stadt, dem Carrera . Ich traf ihn im Aufenthaltsraum, einer riesigen Halle mit viel Messing und schwarzem Marmor, in der es den ganzen Tag klassische Musik vom Band gibt. Wir verabscheuten uns vom ersten Moment an, und es dauerte keine zehn Minuten, bis er durchblicken ließ, daß er es der Botschaft übelnahm, ihm nichts Besseres als einen Schnösel wie mich zu schicken. Da beschloß ich, Herrn von Graffenried, den Berner Patriziersohn, in dieser Stadt unmöglich zu machen.
Ich begann damit, daß ich seinen ausgefallenen Bitten an das Hotelpersonal einen herrischen Klang gab. Wenn er sagte:«Ich brauche für den Schachtisch einen eigenen Aschenbecher», übersetzte ich:«Warum, verdammt noch mal, fehlt auf dem Schachtisch der
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