Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Klavierstimmer

Der Klavierstimmer

Titel: Der Klavierstimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
Vom Netzwerk:
Hause kamst - es war noch in unserer Genfer Wohnung -, stand er da, schwarz, glänzend, makellos. Und darauf das Foto von Clara, das auch im Hause de Perrin auf dem Flügel gestanden hatte.«Papa hat sich das so gewünscht», sagte Maman, als du, Überraschung im Gesicht, das Bild betrachtetest.«Es macht dir doch nichts aus, oder? Wo du dich so für Maman interessierst. Es hat ihn riesig gefreut.»
    Immer noch stand ich vor der Tür zu Papas Zimmer. Ich dachte an den Morgen, als sie die gepolsterte Tür brachten, und senkte bei dem Gedanken unwillkürlich den Kopf. Hätten wir Kinder diesen grausamen Wunsch nur niemals ausgesprochen! Hätte Maman ihren vagen Willen nur in sich versammelt - dieses eine Mal nur - und sich auf deine Seite gestellt! Wir wollten von deiner Musik und der Musik insgesamt, von diesem ganzen Ausschnitt der Welt, einfach nichts mehr wissen, denn da kam dein Unglück her. Wir wünschten uns die Welt zurück in einen Zustand vormusikalischer Stille. Und doch war es dann entsetzlich, als sie die neue Tür mit der dicken Polsterung brachten. Du standest dabei, als sie eingehängt wurde, die Hände in den Hosentaschen, das Gesicht nach vorne geschoben. Als es soweit war, strichst du mit den Händen über die dunkelrote Lederpolsterung, die mit goldenen Nieten befestigt war. (Die Farbe wenigstens hattest du dir aussuchen dürfen. Großer Gott!)«Probieren wir es aus!»sagtest du mit deiner fürchterlichen Tapferkeit und dieser unbeschwerten Bitterkeit, die einem die Sprache verschlagen konnte. Dann gingst du hinein und schlossest die Tür. Der Unterschied zu vorher war groß, die Töne waren gedämpft und klangen wie aus weiter Ferne.«Nun?»fragtest du, als du herauskamst,«ist meine Musik jetzt still genug? »
    Alle standen wir da, den Blick zu Boden gesenkt, aus dem Augenwinkel sah ich, daß Patrice mit den Tränen kämpfte. Schließlich sagte einer der Handwerker:«Ja, es ist ein großer Unterschied. »Du unterschriebst den Lieferschein und brachtest die Männer zur Haustür. Keiner von uns hatte sich von der Stelle gerührt - fast so, als hätten wir ein Verbrechen begangen. Du gingst durch die neue Tür ins Zimmer, stecktest dir eine Zigarette zwischen die Lippen und sagtest, die Hand schon am Türgriff:«Jetzt kann ich ungestört arbeiten.»
    In der Erinnerung kommt es mir vor, als habe sich die Tür im Zeitlupentempo geschlossen. Dein Lächeln und die grauen Augen, deren Glitzern Trotz wie Tränen bedeuten konnte, waren endlos lange zu sehen, bevor die schwere Tür mit einem neuen Geräusch ins Schloß fiel. Wäre all das nur nicht geschehen! Vielleicht hätte sich dann nie eine Zellentür hinter dir geschlossen.
    Ich ging weiter und warf einen Blick in den Salon, in Mamans Boudoir, ins Eßzimmer und in das Schlafzimmer, wo unsere Eltern zwei Nächte zuvor mit ihren mörderischen Absichten nebeneinandergelegen hatten. Keine Spur von Maman. Auch Küche und Bad waren leer. Sie liegt oben im Zimmer von Patrice, auf seinem Bett, dachte ich plötzlich. Es hätte gepaßt. Doch auch hier war sie nicht. Mein Blick blieb an dem Bett hängen. Was für eine Wucht und Genauigkeit die Erinnerung in diesem Augenblick hatte!
    Daß sich Maman in meinem Zimmer aufhielt, war unmöglich, sie hatte es nie freiwillig betreten; trotzdem sah ich nach. Seit meinem letzten flüchtigen Besuch vor zwei Jahren hatte sich nichts verändert. Immer noch fehlte das große Foto, das Papa im Garten gemacht hatte: Du und ich, einen Arm auf der Schulter des anderen, tanzten zur Musik von Alexis Sorbas . Wo das Bild gehangen hatte, war ein helles Rechteck. Deine Eifersucht, Maman. Deine hellsichtige Eifersucht. Wie du es gehaßt hast, wenn Patrice mit mir tanzte! Wo das Tanzen doch einmal deine Domäne gewesen war.
    Nun rief ich doch nach Maman. Ich hatte freundlich rufen wollen, liebevoll sogar. Es wurde ein gepreßter Ruf voller Gereiztheit und Zorn. Im Haus blieb es still. Ausgegangen konnte sie nicht sein; die Haustür war nicht abgeschlossen. Papas Arbeitszimmer. Nie hatte sie sich allein darin aufgehalten. Doch jetzt, wo ich alles weiß, scheint es mir der logische Ort. Ich zögerte und holte mehrmals tief Atem, bevor ich die schwere Tür öffnete.
    Der Anblick, der sich mir bot, war erschütternd. Die Vorhänge waren zugezogen. Maman kauerte zusammengesunken in einem der Lesesessel. Kopf und Schultern waren unter einer breiten Stola aus schwarzem Samt verborgen, die Arme hielt sie vor der Brust verschränkt, die Beine

Weitere Kostenlose Bücher