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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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wenig hätte er zu träumen gewagt, dass er sich damit geradewegs in den SS -Himmel katapultiert hatte.
    Die Schulterklappen gehörten nämlich dem Höheren SS - und Polizeiführer (abgekürzt HSSPF ) Benz, der es als Kapitalverbrechen gewertet hätte, einen treudeutschen Knaben den wütenden Anverwandten einer Judenhure zum Fraß vorzuwerfen.
    Als harmonierendes Glied im Polizeibataillon 101 war Wollis Erzeuger längst auf dem Weg nach Bayern, bevor Otto Wänig in der Reichenbacher Polizeidienststelle auch nur den Mund aufbrachte, um seine Anzeige zu Protokoll zu geben.
    Wollis Erzeuger wähnte sich im Paradies. Er durfte in Dachau prügeln und treten. In Jozefow durfte er Juden wie Hasen jagen und so viele von ihnen abschießen, wie er nur konnte. In Majdanek durfte er morden und foltern. Und dafür hagelte es Lob, Schulterklopfen und eines Tages sogar das Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse. Vor dem Fronteinsatz bewahrte Wollis Erzeuger ein schlaffer linker Herzmuskel. Wie zweckmäßig, denn wo hätte Wollis Erzeuger dem Deutschen Reich effizienter dienen können als in einem Konzentrationslager?
    Im Spätherbst ’43 – nach wie vor unter den Fittichen des Bat. 101 – berauschte sich Wollis Erzeuger an den Orgien, die unter dem teuflischen Namen »Aktion Erntefest« den Genozid seinem Höhepunkt entgegentrieben. Er zeigte sich ein wenig verstimmt, als der Befehl zum Abzug kam.
    Am 22. Juli 1944 fanden Truppen der Roten Armee das verwaiste Lager Majdanek. Wollis Erzeuger und Konsorten hatten die Gefangenen zum Todesmarsch formiert und prügelten sie im Zickzack nach Westen. Die Aufseher taten unterwegs ihr Möglichstes im Sinne der Judenvernichtung, sodass sich Wollis Erzeuger rühmen konnte, zwischen Majdanek und Grünberg drei Viertel seiner Schützlinge zur Strecke gebracht zu haben.
    Aber irgendwie fühlte sich Wollis Erzeuger nicht mehr wohl in seiner Haut. Ein dumpfes Unbehagen saß ihm im Nacken. Es trug Namen wie »Panzerfahrzeug Stalin III «, » MG Maxim« und »Degtjoreff«, und es wummerte Tag und Nacht in seinen Ohren. In Grünberg quälte und marterte Wollis Erzeuger mit weit weniger Elan als zuvor. Oft starrte er heimlich die vorbeifließende Oder hinauf und rechnete im Stillen hin und her, hinter welcher der vielen Biegungen wohl Habendorf lag. Als es Ende ’44 in Grünberg derart brenzlig wurde, dass neue Marschziele wie Bergen-Belsen oder Helmbrechts in der Luft hingen, zog es Wollis Erzeuger unwiderstehlich nach Hause.
    Er erreichte seinen Heimatort spät am Vorabend des 24. Dezember 1944. Die Hauptstraße zeigte sich menschenleer, aus den Fenstern der Häuser drang kein einziger Lichtschein.
    Mit einem deutlichen Gefühl der Beklemmung schlich Wollis Erzeuger die Dorfstraße hinunter. War es klug gewesen, hierherzukommen? Die Habendorfer würden nicht vergessen haben, was er Marie Wänig angetan hatte. Der Feind – auch von Habendorf nicht mehr weit entfernt – würde ihn nicht davonkommen lassen, und ein reichsdeutscher Offizier würde nicht lange fackeln, wenn er einen Deserteur entdeckte. Wollis Erzeuger fühlte sich auf einmal beängstigend eingekreist, obwohl gar niemand in der Nähe war. Bei der Tischlerwerkstatt blieb er zögernd stehen, denn zum Dominium wagte er sich plötzlich nicht mehr.
    Erwartungsgemäß war die Tür zur Werkstatt geschlossen. Aber als er vorsichtig auf die Klinke drückte, stellte er fest, dass Tischler Scheller den Riegel nicht vorgeschoben hatte.
    Wollis Erzeuger trat ein, bastelte sich eine Liegestatt aus den paar Spänen, die noch herumlagen, und einigen Lumpen, die Scheller zum Polieren der Särge benutzte, und igelte sich darin ein.
    Bevor er einschlief, streifte ihn der Gedanke, dass das Jesuskind dereinst in der Krippe ebenso dagelegen haben mochte.
    Wollis Erzeuger blinzelte verschlafen, als sich morgens die Tür zur Werkstatt öffnete. Er rieb sich die Augen, setzte sich auf und fand sich Vater Scheller gegenüber, in dessen Blick Erkennen aufblitzte.
    Wollis Erzeuger musste kein Hellseher sein, um zu merken, wie es in den Fäusten und Füßen des Tischlers zu kribbeln begann. Er konnte Schellers Gedanken fast bis auf den Grund durchschauen, weil sie sich deutlich genug in dessen Gesicht widerspiegelten.
    Dieser Lump da, stand in der Miene des Tischlers zu lesen, hat es verdient, dass ihm einer in die Fresse tritt, gleich jetzt und auf der Stelle – für Marie, für Otto Wänig und für Mutter-Wänig-Gott-selig.
    Wollis Erzeuger sah Scheller

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