Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kleine Koenig von Bombay

Der kleine Koenig von Bombay

Titel: Der kleine Koenig von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chandrahas Choudhury
Vom Netzwerk:
verschwendet. Aber das war ein Fehler, Deepakbhai, denn jetzt sehe ich, dass ich all die Jahre in eine Sackgasse marschiert bin. Es ist erst einen Tag her, dass wir uns getroffen haben, Deepakbhai – einen Tag und ein paar Stunden –, aber es kommt mir vor, als wäre es ein ganzes Jahr. Ich weiß, was du denkst. Es war dumm von mir, nicht nach Dubai zu gehen, denn da will schließlich jeder hin. Und du hast völlig recht. Aber so bin ich! Ich denke mit dem Herzen – hier, Deepakbhai, nicht hier oben! Und ich war zufrieden all die Jahre, es ist nicht so, dass ich nicht zufrieden gewesen wäre, aber jetzt bin ich ruiniert, Deepakbhai, und dadurch ist das alles in den Hintergrund getreten. Versetz dich mal in meine Lage, Deepakbhai. Stell dir vor, du hättest das Syndikat nicht mehr hinter dir, du wärst allein auf dieser Welt, und dann wärst du auch noch so klein wie ich, und alle würden dich komisch angucken – dann weißt du ungefähr, wie ich mich fühle. Nach alldem hätte ich heute Abend auch wegbleiben können, Deepakbhai. Aber ich wollte nicht, dassdu Ärger mit deinen Leuten kriegst, deshalb bin ich gekommen und habe dir das Geld gebracht. Bitte erlass mir die restlichen Raten, Deepakbhai. Mich drücken schon hundert andere Dinge zu Boden. Außerdem hat das Geld eh nur auf dem Papier existiert – also eigentlich gar nicht! Sonst muss ich mir nämlich Geld von meiner Mutter leihen, Deepakbhai, und du hast keine Ahnung, was das bedeutet.«
    »Hmm-mmm«, machte Deepak.
    »Deepakbhai, ich …
    …
    …
    …
    … Deepakbhai«, sagte Arzee, und er hatte in der Zwischenzeit nichts gesagt, was er nicht schon vorher gesagt hätte. »Deepakbhai?«
    Die Wanduhr machte ein Geräusch, und dann hüpfte ein Holzvögelchen aus der Tür und piepte zehnmal. Deepak grunzte und knipste mit der Fernbedienung die Folge von
India Victorious
aus, die er sich gerade angeschaut hatte.
    »Was du redest, wenn der Tag lang ist«, sagte er. »Du wärst im
Lok Sabha
10 gut aufgehoben. Aber meine Erinnerung hat mich nicht getrogen. Tendulkar hat echt gut gespielt, als er noch jung war.«
    Deepak lümmelte in einem großen gepolsterten Lehnstuhl, die Beine hatte er auf einen kleinen Tisch gelegt. Arzee saß auf dem Sofa ihm gegenüber. Deepaks Fußsohlen waren schwarz. Er trug seine verwaschene schwarze Jeans und ein olivgrünes Unterhemd, auf dem eine Bulldogge abgebildet war. Umgeben von seiner Frau, die mit gerunzelter Stirnund in die Wange geschobener Zunge an der Nähmaschine saß, den schlichten, bunten Möbeln und Bildern, einem Foto seiner oder ihrer Eltern an der Wand und einem Fußball sowie einem grünen Gummihuhn auf dem Boden, sah Deepak überhaupt nicht wie der zugekiffte, furchterregende Deepak aus, als den Arzee ihn bislang ausschließlich gekannt hatte. Er wirkte wie ein ganz normaler Ehemann und Vater, der abends nach getaner Arbeit zu Hause die Beine hochlegt. Arzee hätte sich nie träumen lassen, dass Deepak so häuslich wirken oder eine so hübsche und vollendete Ehefrau haben könnte, die er durch nichts verdient hatte. Er wandte den Blick nicht von Deepak ab, und irgendwann schien dieser Tendulkar zu vergessen und sich wieder an Arzee zu erinnern. Deepak reckte die Arme über den Kopf.
    »Was soll ich sagen?«, sagte er. »Du weißt es ja eh. Ich höre das nicht gern. Gar nicht gern.«
    Arzee blinzelte, und seine in der Luft hängenden Beine zitterten etwas. Deepak hörte das nicht gern. Das bedeutete, dass er verärgert war. Aber
wie
verärgert –
über
ihn oder
für
ihn? Er konnte es nicht erkennen.
    »Morgen ist der Unabhängigkeitstag, Deepakbhai, aber davon habe ich gar nichts«, tat er kund.
    »Fühl dich nicht immer übergangen. Ich habe auch nichts davon«, sagte Deepak und gähnte.
    Arzee dachte bei sich: »Ich gehe jetzt. Deepak ist diesen Monat erst mal aus der Bredouille, weil ich ihm das Geld gebracht habe, der denkt jetzt, dass er sich nächsten Monat mit mir befassen wird. Aber das kann mir egal sein – vielleicht bin ich ja nächsten Monat gar nicht mehr da. Vielleicht habe ich bis dahin diese elende Stadt verlassen. Ich habe den ganzen Abend geredet, aber aus gutem Grund: weil ich sonst wiederanfange, mich endlos im Kreis zu drehen, so wie jetzt! – Deepak hat mich nicht aufgefordert zu gehen, also bleibe ich noch ein bisschen. Fünf Minuten! Sie haben mich nicht schlecht behandelt – vielleicht haben sie mir ja sogar zugehört! Soll ich ihnen von meinem Besuch bei Phiroz erzählen? Das war

Weitere Kostenlose Bücher