Der kleine Koenig von Bombay
hätten tun sollen: Kann man seinen Eltern Vorhaltungen machen?«
»Und ob man das kann!«, sagte Deepak mit einem vorwurfsvollen Blick auf das Bild der beiden älteren Herrschaften an der Wand. »Also, ich für mein Teil denke, wozu Hindu sein, wenn man nicht auch eine Hindu heiratet? Ich finde, man sollte die Religion bewahren.«
»Es ist nichts Schlechtes, außerhalb des eigenen Glaubens zu heiraten, Deepakbhai«, sagte Arzee. »Das hätte mein seligerVater gesagt, und der war Hindu, genau wie du. Wenn man sein Herz jemandem öffnet, der anders ist als man selbst, wird man nicht kleiner, sondern größer. Das hat mein Vater immer gesagt.«
»Du bist mir der Richtige, um so was zu sagen, so klein wie du bist«, sagte Deepak, und sein höhnisches Lachen schien von den Wänden zurückgeworfen zu werden. »Deine Eltern sind vielleicht größer geworden – aber dich haben sie schön klein gelassen! Jetzt musst du auch eine Andersgläubige heiraten, damit du größer wirst. Such dir ein nettes Christenmädchen. Shirley – Betty – Florencia …«
»Wenn du das alles ins Lächerliche ziehen musst, Deepakbhai, dann lass uns lieber über etwas anderes reden. Nur damit du es weißt: Ich war mal kurz davor, ein Mädchen aus einer anderen Religion zu heiraten. Aber dann ist alles schiefgegangen.«
»Ich wusste gar nicht, dass du so ein interessantes Wesen bist«, sagte Deepak. »Du bist wie diese Hybridpflanzen, die es heutzutage gibt. Na dann erzähl mal – warum bist du nicht gläubig?«
»Zwischen Gott und mir hat es noch nie gut gestanden, Deepakbhai.«
»Zu verwirrend, was? Auf der einen Seite die zahllosen Gottheiten von uns Hindus, und auf der anderen« – Deepaks Ton wurde sarkastisch – »der große formlose Eine.«
»Das ist nicht der Punkt, Deepakbhai. Ich glaube, es fiele mir auch schwer zu glauben, wenn meine Eltern derselben Religion angehören würden. Denn auf Gott zu vertrauen heißt auch, auf andere Menschen zu vertrauen. Auf das System zu vertrauen. Das braucht es, um zu glauben. Das Zwergendasein« – Arzee stockte, als er dieses Wort ausgesprochenhatte, und seine Beine zuckten heftig – »das Zwergendasein ist in gewisser Weise eine eigene Religion, Deepakbhai. Wenn ich in anderer Hinsicht nicht zur Welt der normalen Menschen gehöre, warum sollte ich dazugehören, wenn es um Gott geht? Das mach ich nicht – da bleibe ich lieber für mich! Insofern ist deine Frage falsch gestellt, Deepakbhai. Es ist so, als würdest du mich für eine Münze halten, weil du selbst eine bist, und mich fragen, ob ich meine Wappen- oder meine Zahlseite lieber mag. Aber ich bin gar keine Münze! Ich bin wie … wie ein Kronkorken, Deepakbhai! Ich bin nicht Teil des Systems. Und das ist auch in Ordnung, Deepakbhai, man gewöhnt sich mit der Zeit daran. Deshalb bete ich auch nicht, Deepakbhai, obwohl viele Leute behaupten, Gott sei gütig und gerecht. Vielleicht bestraft er mich deshalb, indem er alles kaputtmacht, was ich aufzubauen versuche. Aber er sollte es besser wissen, Deepakbhai. Wenn es einen Gott gibt, sollte er es wirklich besser wissen.« Den Blick auf die gegenüberliegende Wand gerichtet, murmelte Arzee noch eine Weile Unverständliches vor sich hin.
»Wie beeindruckend er spricht«, sagte Deepaks Frau auf Marathi zu ihm.
»Der hat echt was auf dem Kasten«, stimmte Deepak ihr zu.
»Es tut mir leid, dass ich mich so ereifert habe, Deepakbhai«, sagte Arzee. »Deshalb rede ich normalerweise nicht über diese Dinge. Sie wühlen mich auf. Es ist besser, wenn ich sie für mich behalte.«
»Schon gut, schon gut«, murmelte Deepak. Er lachte etwas gezwungen und sagte dann: »Was kannst du reden! – Mit deinen Worten machst du wett, was dir an Länge fehlt.«
»An Länge? Ach so, körperlich meinst du. Ich hab erst gar nicht richtig geschaltet, Deepakbhai.« Arzee verstummte füreine Weile und sagte dann: »Ich werfe meinen Eltern nichts vor, Deepakbhai – weder meine verworrene Religionszugehörigkeit, die ich ja sowieso nicht will, noch meine geringe Größe. Ich bin ihnen für alles dankbar. Ich weiß, dass sich meine Mutter insgeheim schuldig fühlt, weil ich so klein bin, und dass sie befürchtet, ich könnte deshalb kein normales Leben leben. Aber ich tue, was ich kann, damit sie sich nicht damit belastet. Deshalb habe ich ihr auch noch nicht erzählt, dass ich meine Stelle verlieren werde, Deepakbhai, obwohl ich es dir gesagt habe – und sie kenne ich immerhin schon siebenundzwanzig Jahre
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