Der kleine Vampir (01)
nicht gut», sagte er, «wir müssen uns um ihn kümmern.»
«Was ist denn – kümmern?», fragte sie.
Anscheinend hatte sie das Wort noch nie gehört!
«Kümmern», sagte Anton, «das ist, wenn du dich mit jemandem beschäftigst, wenn du mit ihm Spiele machst, ihm etwas vorliest, ihm Geschichten erzählst, ihn tröstest …» Jedenfalls war es immer so gewesen, wenn er krank war. Wie es nun bei Vampiren war, konnte er sich allerdings nicht vorstellen.
«Um uns kümmert sich niemand», sagte Anna. «Meine Verwandten sind entweder im Sarg und schlafen – oder sie sind unterwegs und …», sie machte eine Pause, «na, du weißt schon!», fügte sie hinzu. «Jedenfalls, für uns hat keiner Zeit, und vorgelesen hat mir noch nie jemand und Spiele gespielt auch nicht und Geschichten erzählt erst recht nicht!» Sie schniefte durch die Nase und machte ein betrübtes Gesicht.
Die Arme!, dachte Anton. Wenn das stimmte, war es ja eine Strafe, Vampirkind zu sein!
Er fand immer, dass sich seine Eltern schon wenig Zeit für ihn nahmen, doch verglichen mit den Vampiren hatte er es ja fürstlich zu Hause!
«Aber wir könnten uns doch um Rüdiger kümmern», schlug er vor, «sobald deine Verwandten mal weg sind.»
«Und wenn einer früher zurückkommt?», fragte sie.
Anton machte eine abwinkende Handbewegung. «Das ist doch unwahrscheinlich», sagte er, «außerdem war ich schon mal in der Gruft.»
«W-was?», rief Anna entsetzt. «Du warst schon mal …?»
«Na klar», sagte Anton, «mit Rüdiger.»
«Und keiner hat euch erwischt?»
«Nein, nur Tante Dorothee beinahe», sagte er.
«Aber die hat nichts gemerkt, weil ich schnell in Rüdigers Sarg geklettert bin.»
Anna stieß einen zischenden Laut aus. «Tante Dorothee», sagte sie, «weißt du, dass sie die Schlimmste von allen ist?»
«T-tatsächlich?», stotterte Anton.
«Allerdings!», sagte Anna. «Sie wollte sogar bei mir schon mal – – – obwohl ich doch selbst Vampir bin!»
«Iiieh!», entfuhr es Anton, und bei der Erinnerung an Tante Dorothees kreischende Stimme in der Gruft fasste er sich unwillkürlich an den Hals.
«Aber sie ist fast immer am längsten unterwegs», beruhigte ihn Anna, «sie ist nämlich am gierigsten. – Also», sagte sie dann, «wann gehen wir in die Gruft?»
«In die G- G-Gruft ?», fragte Anton, den plötzlich sein ganzer Mut verlassen hatte. «M-meinst, wir sollten?»
«Na sicher!», sagte Anna. «Du hast doch selbst erklärt, dass wir uns um Rüdiger kümmern müssten.»
«Na ja», brummte Anton, «wenn du meinst.»
«Komm», drängte sie, «du hast doch den zweiten Umhang.»
Aufgeregt rutschte sie schon auf der Fensterbank hin und her. «Der wird Augen machen, der Rüdiger!», lachte sie.
«Hoffentlich geht das gut», sagte Anton leise, während er sich den Umhang überzog und zu ihr auf die Fensterbank stieg.
Dann flogen sie ab.
Vampirgeschichten
«Weißt du, welche Geschichte ich in deinem Buch am schönsten fand?», fragte Anna, als sie nebeneinander durch die Nacht segelten. «Die mit dem Schneevampir!»
«Mit welchem Schneevampir?», fragte Anton, der noch nicht alle Geschichten kannte.
«Hast du sie nicht gelesen?», sagte sie und mit schwärmerischem Blick begann sie zu erzählen: «Sie spielt in den Bergen, in einem alten, ganz einsam gelegenen Haus. Dort müssen nach Sonnenuntergang in allen Zimmern, die nach Westen sehen, die Vorhänge geschlossen bleiben, und wehe, wenn sie geöffnet werden!»
«Warum?», fragte Anton.
«Warte», sagte sie flüsternd. «Eines Tages sind Besucher in dem Haus und ein Schneesturm setzt ein. Eine Frau geht zum Fenster und schiebt den Vorhang zur Seite. Draußen sieht sie eine weiße Gestalt, die langsam am Haus vorübergeht.»
«Der Vampir!», sagte Anton.
Anna nickte. «Aber die Besucher glauben nicht, dass es ein Vampir ist, sondern sie denken, es sei eine Frau, die sich im Schneesturm verirrt hat! Der eine geht vor die Tür, um sie hereinzuholen …»
«Und?», fragte Anton mit leuchtenden Augen.
«Am nächsten Morgen finden sie ihn. Er lehnt an einem Baum. Um ihn herum sind winzige Vertiefungen, die aussehen, als hätte hier der Wind den Schnee fortgeweht.»
«Aber in Wirklichkeit war es der Schneevampir!», rief Anton.
«Genau!», sagte sie.
«Ich fand die Geschichte mit dem Nachtfalter am besten», sagte Anton. «Sie beginnt an einem regnerischen, stürmischen Abend. Der Mann, von dem sie erzählt, ist allein. Plötzlich klopft es. Er geht zur
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