Der kleine Vampir (01)
eingeschaltet. In ihrem Licht sah er Anna auf seinem Bett sitzen und vergnügt lächeln. Sie hatte sich verändert: Ihre Haare, die ihr am Sonntag wild und strähnig auf die Schultern gehangen hatten, waren sorgfältig gekämmt und glänzten. Ihre Augen leuchteten, und vor Aufregung hatten sich ihre Wangen rosig gefärbt, sodass sie nicht mehr so totenblass war. Was konnte sie von ihm wollen? Doch nicht etwa …
Anna musste seine Gedanken erraten haben, denn sie begann herzhaft zu lachen. «Hast du vergessen, dass ich Anna die Zahnlose heiße?», kicherte sie.
Anton kam sich ziemlich blöd vor. Um überhaupt etwas zu sagen, hielt er ihr das Glas entgegen und fragte: «Magst du Orangensaft?»
Sie schüttelte den Kopf. «Aber wenn du Milch hast?»
«Moment», sagte Anton und wenig später kam er mit einem Glas Milch wieder.
«Danke», lächelte sie, und während sie mit kleinen Schlucken trank, sah sie Anton auf eine Art an, die ihn ganz verlegen machte.
«Willst du – noch ein Buch leihen?», fragte er und hustete.
«Ein Buch?», sagte sie. «Nein.»
«Und weshalb –», er stockte, «weshalb bist du gekommen?»
«Ich wollte dich nur besuchen!», sagte sie mit einem strahlenden Lächeln. «Du hast doch nichts dagegen, oder?»
«Ich? Nein», murmelte er.
«Und wie findest du mich heute?», fragte sie.
«D-dich?», stotterte er. «G-gut!»
«Wirklich?», sagte sie erfreut und zupfte an ihren Haaren. «War ganz schön schwierig», meinte sie, «ich hatte sie nämlich ungefähr fünfundsiebzig Jahre nicht mehr gekämmt!»
Mit unzufriedener Miene zerrte sie an ihrem Umhang.
«Das hässliche Ding!», schimpfte sie. «Weißt du, früher war es mir ja ganz egal, wie ich aussah. Aber jetzt … Bestimmt würde ich dir mit normalen Sachen noch besser gefallen, oder?»
«Na ja», sagte Anton, «du brauchst ihn doch zum Fliegen.»
«Und trotzdem ist es ungerecht!», empörte sie sich. «Menschenmädchen dürfen anziehen, was sie wollen, nur Vampirmädchen müssen immer solche Lumpen tragen!» Sie kniff die Lippen zusammen und schien nachzudenken. «Darf ich dich etwas fragen?», erkundigte sie sich dann.
«Klar», sagte Anton überrascht.
«Wie findest du Vampire?»
«Vampire?» Mit dieser Frage hatte er nun gar nicht gerechnet. «Gut natürlich», antwortete er.
«Und – Vampirmädchen?», wollte sie wissen.
«Vampirmädchen?», sagte er. «Ich kenn ja nur dich.»
«Und wie findest du mich?», fragte sie kichernd.
«Nett», sagte er und merkte, wie er rot wurde.
Auf ihrem Gesicht zeigte sich Enttäuschung. «Nur nett?», rief sie. «Ich finde dich viel, viel mehr als nur nett!» Dabei verzog sie den Mund, als würde sie gleich weinen.
Was nun? Das ganze Gespräch war ihm unangenehm, und er hätte viel lieber über andere, nicht so verfängliche Dinge gesprochen!
«Wo – wo ist eigentlich Rüdiger?», fragte er deshalb.
«Rüdiger», schluchzte sie, «du denkst wohl nur an Rüdiger, was?»
«Nein», sagte er, «aber er wollte doch heute den Umhang holen.»
«Wollte!», sagte sie und schniefte.
«Und?», sagte er. «Kommt er nicht?»
«Nein», murmelte sie, «er kann nicht.»
«Er kann nicht?»
«Nein, er ist krank!»
«Krank?» Anton erschrak. «War es – der Friedhofswärter?», fragte er mit zitternder Stimme.
Sie schüttelte den Kopf. «Blutvergiftung», erklärte sie.
«Blutvergiftung?», murmelte Anton. War das nicht eine sehr gefährliche Krankheit? «Und – was macht er jetzt?», fragte er.
«Jetzt liegt er mit Fieber im Sarg.»
Anton war so durcheinander, dass er gar nicht wusste, was er sagen sollte. Bestimmt lag der arme Rüdiger ganz allein im Sarg und niemand sorgte sich um ihn! Wenn er dagegen mal krank war, kam der Kinderarzt zu ihm ins Haus, und seine Eltern stellten ihm das leckerste Obst ans Bett.
«Kann ich ihn denn mal – besuchen?», fragte er zögernd.
«Besuchen?», kicherte Anna. «Und wenn meine Eltern dich sehen? Oder meine Großeltern? Oder meine Tante? Oder mein Bruder Lumpi?»
«Dann lieber nicht», sagte Anton schnell, dem sich bei der Erwähnung der verschiedenen Vampire die Haare sträubten. «Ist er denn sehr krank?»
«Du meinst, ob er stirbt?», fragte Anna.
Anton nickte. Es fehlte nicht mehr viel und er hätte angefangen zu weinen.
Aber Anna grinste nur. «Keine Sorge», sagte sie, «der ist doch schon tot!»
Daran hatte Anton nun überhaupt nicht gedacht. Trotzdem fand er Annas Erklärung wenig beruhigend.
«Aber es geht ihm doch
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