Der Knochendieb
Neugier, oder hatte Driscoll Recht? War Pierce der Medizinmann?
»Wir kommen voran«, sagte sie. »Die Morde haben aufgehört, und wir glauben zu wissen, warum.«
»Und warum?«
»Wir glauben, der Mörder hat Gewissensbisse. Und falls wir mit unseren Überlegungen richtigliegen, könnte jetzt der Moment gekommen sein, in dem er sich offenbart und seine Verbrechen gesteht.«
»Er könnte ja auch nur eine Pause bei der Ausübung seines Hobbys eingelegt haben. Oder?«
»Mag sein. Aber solche Morde verstärken normalerweise den Drang in der Seele des Killers. Solange dem Psychopathen Schuldgefühle fehlen, wird sein Drang zu töten unstillbar sein und sich unvermindert fortsetzen, bis er gefasst ist. Wir hoffen, dass seine Schuldgefühle massiv genug werden, um ihn zu einem Geständnis zu bewegen.«
Margaret versuchte, Pierce gezielt zu ködern. Dass sie
den Mörder als Psychopathen bezeichnete, würde Pierce sicherlich provozieren, falls der Lieutenant damit Recht hatte, dass er der Killer war. Und jetzt wäre ein guter Moment, um ihm ein Geständnis abzuringen. Vielleicht hatte man sie deshalb überhaupt zusammengeführt: Das Schicksal wollte Wiedergutmachung leisten.
»Psychopath. So nennt man jemanden, der blindwütig agiert. Jemanden, der dem Willen einer unkontrollierbaren Macht unterworfen ist. Ich glaube nicht, dass solche Typen jemals Schuldgefühle bekommen. Aber es ist ja auch nicht mein Beruf, Kriminelle zu fassen.«
Margaret glaubte, einen Schimmer von Verachtung in Pierce’ Blick zu erkennen. Das Ganze hielt nur eine Sekunde an, ehe es verschwand. Doch sie war trotzdem sicher, es gesehen zu haben.
»Gegenüber einem Mann, der aus eigenem Antrieb gesteht und seine Verbrechen bereut, würde der Bezirksstaatsanwalt bestimmt Milde walten lassen, selbst wenn es ein durchgedrehter Killer wäre.«
»Soso.«
Pierce erhob sich und räumte das Geschirr ab. Als er zurückkehrte, brachte er einen Teller Plätzchen mit.
»Sweets for the sweet«, säuselte er und stellte den Teller vor Margaret.
Margaret wählte eine Marzipankreation mit sieben Schichten aus und biss hinein.
Pierce setzte sich ihr gegenüber und musterte sie durchdringend. »Ich glaube nicht, dass Ihr Killer seine Verbrechen jemals gestehen wird«, sagte er. »Ich vermute eher, dass etwas Unvorhergesehenes dazwischengekommen und es nur eine Frage der Zeit ist, bis er wieder zuschlägt.«
Nun war es an Margaret, Pierce durchdringend in die Augen zu sehen. Wurde jetzt sie geködert?
»Was denn zum Beispiel? Was hätte dazwischengekommen sein können?«
»Vielleicht ein unerwarteter Eindringling.«
Moira. Dieser Dreckskerl meint Moira. »Wie das?«
»Dem zufolge, was ich im Internet gelesen habe, war diese Benjamin das letzte Opfer. Stimmt’s?«
»Ja.«
»Da haben Sie doch Ihre Antwort.«
Ihre Blicke sogen sich aneinander fest. Dieses Katzund-Maus-Spiel nahm gigantische Ausmaße an. Woher konnte jemand anders als der Mörder wissen, dass Sarah Benjamin nicht ins Schema passte? Ein unerwarteter Eindringling, hatte er es genannt. Margarets Herz begann erneut zu rasen.
»Ich vermute, dass die Benjamin dem Mörder irgendwie in die Quere gekommen ist und er es für das Beste hielt, sie vom Spielfeld zu entfernen.« Und nun spielte er mit ihr. Sein Grinsen besagte: Ich bin euer Mann. Fass mich, wenn du kannst. »Das ist natürlich eine reine Vermutung meinerseits«, ergänzte Pierce. »Sie wissen besser als ich, ob meine Spekulation auch nur im Entferntesten zutrifft.«
»Wie kommen Sie darauf, dass Sarah Benjamin nicht ins Schema gepasst hat?«
»Nennen Sie es eine Ahnung. Weiter nichts. Noch ein Plätzchen?«
»Übrigens war es mein voller Ernst, als ich sagte, dass der Staatsanwalt gegenüber einem geständigen Täter Milde walten lassen würde.«
»Margaret, wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich
sagen, Sie wollen mir ein Geständnis abnötigen. Aber ich bin einfach nur ein Radiologe mit einer Leidenschaft für Knochen. Und ich bin ganz bestimmt nicht Ihr Knochensammler.«
»Das ist auch ein Merkmal unseres Mörders.«
»Was?«
»Eine Leidenschaft für Knochen.«
»Menschenknochen, Margaret. Wie Sie selbst gesehen haben, begeistere ich mich für die Skelettstrukturen von Vögeln.«
»Es wäre nicht weit entfernt.«
Pierce musterte Margaret. Und wieder erschien dieser verächtliche Blick auf seinem Gesicht. Diesmal allerdings gepaart mit Zorn. »Gewissermaßen schmeichelt es mir ja, dass Sie mich verdächtigen. Das
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