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Der Knochendieb

Der Knochendieb

Titel: Der Knochendieb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas O'Callaghan
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dergleichen, sondern nur ihren eigenen beschleunigten Herzschlag. Diese Sammlung war einfach pervers. »Ich rühre mich nicht vom Fleck«, presste sie hervor.
    Die beiden standen stocksteif da und musterten die arrangierten Knochenstrukturen. »Was in aller Welt ist das?«, fragte sie und durchbrach das andächtige Schweigen.
    »Lanius ludovicianus«, antwortete Pierce und trat neben sie. »Der Louisianawürger. Er spießt seine Beute auf Dornen und Stacheldraht auf.«
    »Na, dann hat er ja den passenden Namen.« Ein Adrenalinstoß durchzuckte Margaret, während Pierce ihr weiter von seiner Sammlung vorschwärmte. Es war wirklich zu viel. Sie fragte sich, was für Sammlungen er sonst noch angelegt haben mochte.
    »Auch der Lanius muss essen.«
    Margaret verkniff sich einen Kommentar.
    »Nach einer besonders anstrengenden Woche in der Klinik entspannt es mich einfach, mir die Vögel anzusehen. Es ist wie Meditieren. Früher waren diese Gerippe von Muskeln, Haut und Federn umgeben. Doch jetzt ist von diesen herrlichen Kreaturen nur noch das hier übrig.
Man könnte sagen, ich bin zum Bewahrer ihrer Knochen geworden. Eine Art Kurator, wenn Sie so wollen. Aber deswegen habe ich letzten Monat Schwierigkeiten bekommen. Ein paar Häuser weiter gab es einen Wasserrohrbruch. Die Stadt hat einen Bulldozer mit einem riesigen Presslufthammer geschickt, der den Asphalt aufreißen sollte. Obwohl mein Haus solide gebaut ist, ist durch die Erschütterung einer meiner Wanderfalken heruntergefallen und zerbrochen. Ich habe bei der Umweltbehörde angerufen und mich offiziell beschwert. Doch den Herrschaften war das völlig egal. Also musste ich die Sache selbst in die Hand nehmen. Ich habe den verdammten Bulldozer mit einem halben Liter Ahornsirup lahmgelegt. Irgendjemand muss mich dabei beobachtet und den Zwischenfall der Polizei gemeldet haben, weil ich kurz danach festgenommen und wegen Zerstörung städtischen Eigentums belangt wurde. Sie halten den Louisianawürger für gnadenlos? Dann kennen Sie Griffith, meinen Anwalt, noch nicht.«
    War das ein Präventivschlag? Hatte Pierce erraten, dass sie neugierig auf die Umstände seiner Festnahme war? Driscoll hatte Recht. Pierce musste man wirklich genau im Auge behalten.
    »Was ist denn, Margaret? Sie sehen ja aus, als wäre Ihnen ein Geist erschienen.«
    »Ja?«
    »Ihr Gesicht hat jegliche Farbe verloren.«
    »Ich war wohl einfach nicht auf Ihre Knochensammlung gefasst.«
    Pierce’ Blick wanderte zu seinen Exponaten zurück. Er schwieg, und seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Margaret hörte nur noch das pochende
Geräusch ihres Herzens, das in ihrem Brustkorb hämmerte.
    »Aber Sie wissen ja ohnehin bereits über meine Festnahme Bescheid. Oder etwa nicht?« Er musterte Margaret mit einem Blick, der ihr verächtlich erschien, ehe er sich wieder seinen Vitrinen zuwandte. »Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert. Es wäre purer Leichtsinn, wenn sich eine Frau nicht über den Mann informieren würde, mit dem sie ausgeht. Woher wollen Sie wissen, dass ich kein zweiter Ted Bundy bin? Erzählen Sie mir, was Ihre Recherchen ergeben haben?«
    »Nichts weiter als die Sache mit dem Bulldozer.«
    »Sie sehen also, ich führe ein ausgesprochen langweiliges Leben.«
    »Was fasziniert Sie so an Knochen?«
    »Das bringt mein Beruf so mit sich.«
    Margaret nahm nicht an, dass jeder Radiologe eine solche Sammlung sein Eigen nannte. Doch ein Gedanke ließ sie nicht los: Nachdem Pierce die mühselige Aufgabe gemeistert hatte, das Gerippe jedes einzelnen dieser winzigen Vögel zusammenzusetzen, konnte er garantiert das Gleiche mit Menschenknochen tun.
    »Schluss!«, rief Pierce, drückte einen Schalter und tauchte den Raum damit in fast völlige Finsternis.
    Margaret wühlte in ihrer Tasche nach der Walther PPK und entsicherte sie.
    »Die Vögel haben es lieber dunkel«, flüsterte Pierce. »Das nährt ihre hungrigen Seelen.«
    »Aber ich schwärme mehr für Neonbeleuchtung, Colm. Würden Sie das Licht bitte wieder anmachen?«
    Erneut drückte Pierce den Schalter, und es wurde strahlend hell.

    »Was halten Sie davon, wenn wir nach oben gehen und einen Happen essen?«, schlug er vor.
    »Einverstanden. Solange Sie keine Hühnchensalat-Sandwiches servieren.«
    »Großer Gott, nein! Es gibt Ente.«

83. KAPITEL
    Pierce schob seinen Teller beiseite und sah Margaret über den Tisch hinweg an.
    »Irgendwelche neuen Entwicklungen in Ihrem Mordfall?«, erkundigte er sich.
    War dies reine

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