Der Knochendieb
Sergeant Margaret Aligante stets zu Diensten.«
»Dann bin ich ja gut beschützt. Klingt nach einem aufregenden Job. Irgendwelche interessanten Fälle in letzter Zeit?«
Sie hatte sich Driscolls Anweisung zu Herzen genommen, dass sie nicht über Einzelheiten des Falls sprechen sollte. Doch sie sah kein Problem darin, den Mann wissen zu lassen, dass sie zu der Sonderkommission gehörte.
»Es gibt sogar einen aktuellen Fall. Sie haben bestimmt schon in den Zeitungen davon gelesen.«
»Ich lese keine Zeitungen. Ich informiere mich über alles im Internet. Lassen Sie mich raten … der Kindesmissbrauch an der Sechsjährigen in Greenpoint?«
»Ich arbeite bei der Mordkommission.«
»Sagen Sie bloß nicht, Sie ermitteln in dem Fall dieses Wahnsinnigen, der eine Frau nach der anderen umbringt und die Knochen mitnimmt.«
»Ich gehöre zum Team.«
»Ich bin beeindruckt. Warum ist er eigentlich so fasziniert von Knochen?«
»Sie sind Radiologe, sagen Sie’s mir.«
»Ich habe alles, was es im Internet über den Fall gab, gelesen. Aber keiner der Artikel macht einen wesentlich schlauer.«
»Wow, Sie haben den Fall also tatsächlich verfolgt.«
»Na ja, wie Sie schon sagten, ich bin eben Radiologe.«
»Und was meinen Sie dazu?«
»Ich finde es zu gruselig, um bei Coquelet au poivre darüber zu sprechen.«
»Meinen Appetit kann nichts beeinträchtigen.«
Der Kellner kehrte mit dem Lammcarré à la Berrichonne für zwei Personen zurück, schnitt gekonnt eine Scheibe ab und legte sie Margaret vor. Dann entkorkte er
eine Flasche Charmes Chambertin und füllte zwei Gläser.
Die beiden aßen schweigend und genossen, wie sich das köstliche Gewürzbouquet mit dem herben Geschmack des Lammfleischs vermischte.
»Wahrscheinlich dürfen Sie gar nicht über die Ermittlungen reden«, sagte Pierce.
Margaret hatte gerade den Mund voll und brachte nur ein schwelgerisches »Nein« heraus.
»Auch nicht, wenn ich Ihnen dabei helfen kann?«
Margaret musterte Pierce aufmerksam. Sie war ja gekommen, um ihm ein bisschen auf den Zahn zu fühlen, und nun hatte er ihr sogar einen Ansatzpunkt geliefert.
»Es würde uns brennend interessieren, was er mit den Knochen macht.«
»Ich nehme an, er sammelt sie als Trophäen. Als Souvenirs seiner Eroberungen.«
»Er nimmt auch ihre Hände, Füße und Köpfe mit.«
»Dann versucht er sicher, ihre Identität zu verschleiern. Er will wohl nicht, dass die Polizei sie anhand ihrer Fingerabdrücke oder ihres Zahnschemas identifizieren kann. Aber warten Sie mal. In den Berichten hieß es doch, Sie konnten sie identifizieren.«
»Stimmt.«
»Dann weiß ich auch nicht weiter. Was will er denn mit ihren Köpfen, Händen und Füßen? Vielleicht … will er ihre Skelette wieder zusammenbauen. Wenn er darauf aus ist, braucht er natürlich den Schädel, den Mittelfußknochen, sämtliche Finger- und Zehenglieder und all die anderen winzigen Knochen, aus denen sich Hände und Füße zusammensetzen.«
»Das klingt logisch«, erwiderte Margaret. Gibt dieser
Typ nur Binsenweisheiten von sich, oder will er mich an der Nase herumführen?, fragte sie sich. Sie mochte es nicht, wenn jemand mit ihr spielte. Weder als Frau noch als Polizistin.
»Vielleicht sind Sie gar nicht hinter einem Mörder her. Er könnte auch ein einfacher Dieb sein. Ein Knochendieb.«
»Versuchen Sie, das mal den Angehörigen der Opfer klarzumachen.«
»Das ist der Teil des Jobs, um den ich Sie nicht beneide.«
»Bestimmt gibt es in Ihrem Beruf auch Momente, in denen Sie den Angehörigen eines Patienten schlimme Nachrichten übermitteln müssen.«
»Gelegentlich.«
Margaret trank einen Schluck Wein und sah Pierce an. Es war Zeit, ein paar Dinge zu klären.
»Eine Frage im Rahmen der Ermittlungen, die noch ungeklärt ist, dreht sich um Sie, Colm.«
»Um mich?«
»Warum waren Sie auf der Kinder-Intensivstation und haben die kleine Parsons mit einem Defibrillator behandelt?«
Ein breites Grinsen erschien auf Pierce’ Gesicht. »Ich habe schon darauf gewartet, dass mich das endlich jemand fragt.«
»Tja, und jetzt tue ich es. Sie führen mich zum Essen aus, und ich frage Sie.«
Pierce tupfte sich die Lippen mit der Serviette ab. Keine besonders vielsagende Geste. Der Mann hatte ein Pokerface.
»Doktor Astin und ich sind zusammen im Aufzug gefahren«,
sagte Pierce. »Er war zu einem akuten Notfall auf die Kinder-Intensivstation gerufen worden.«
»Wegen Clarissa Parsons.«
»Genau. Wir hatten uns in eine hitzige Debatte
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