Der Koch
Zungenschlag.
Auf dem Wohnzimmerboden, keine zwanzig Zentimeter erhöht, war ein Tisch für zwei Personen gedeckt. Kissen und Tücher dienten als Sitzgelegenheit. An der Wand stand ein Hausaltar mit einer brennenden Deepam. In dessen Zentrum die Statue einer vierarmigen Göttin, die in einer Lotusblüte saß.
»Lakshmi«, sagte Maravan mit einer Handbewegung, als stelle er einen weiteren Gast vor. »Weshalb hat sie vier Arme?«
»Dharma, Kama, Artha und Moksha. Rechtschaffenheit, Lust, Wohlstand und Erlösung.«
»Ach so«, antwortete Andrea, als wüsste sie jetzt mehr.
Auf einem Tisch an der Wand stand ein Eiskübel neben einem mit einem Batiktuch zugedeckten Computer. Maravan entnahm dem Kübel eine Flasche Champagner, trocknete sie mit einer weißen Serviette, entkorkte sie und schenkte zwei Gläser voll. Das andere Szenario wäre ihr lieber gewesen: Kein Wein im Haus, er hätte das Gastgeschenk öffnen müssen, und sie hätte mit einem weniger schlechten Gewissen auf ihren angeschlagenen Gesundheitszustand zu sprechen kommen können.
Als sie sich zutranken, bemerkte sie, dass er nur die Lippen benetzte.
Er deutete auf den Tisch. »Besondere Mahlzeiten nehmen wir am Boden ein. Stört es dich?«
Sie überlegte kurz, wie er es aufnehmen würde, wenn sie ja sagte, und antwortete dann: »Aber Besteck bekomme ich?«
Es war als Witz gemeint, aber Maravan fragte ganz ernst: »Brauchst du welches?«
Brauchte sie Besteck? Andrea überlegte kurz. »Wo kann ich mir die Hände waschen?«
Maravan führte sie zu seinem winzigen Bad. Sie wusch sich die Hände und tat, was sie immer tat in fremden Bädern: Sie öffnete das Spiegelschränkchen und inspizierte dessen Inhalt. Zahnpasta, Zahnbürste, Zahnseide, Rasierseife, Rasierpinsel, Rasierapparat, Nagelschere, zwei Dosen mit tamilischer Aufschrift, eine gelb, die andere rot. Alles aufgeräumt und sauber wie Maravan selbst.
Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, war er verschwunden. Sie öffnete die Tür, hinter der sie die Küche vermutete, aber es war das Schlafzimmer. Auch aufgeräumt und nur mit einem Schrank, einem Stuhl und einem Bett ohne Bettgestell möbliert. An einer Wand das Poster eines weißen Strandes mit ein paar Kokospalmen, deren Kronen fast den Sand berührten, im Vordergrund ein verwitterter Katamaran. An der gegenüberliegenden Wand waren Blumentöpfe mit Pflanzen aufgereiht, die sie nicht kannte. An der Wand hinter dem Kopfkissen ein Bild der gleichen Hindugöttin wie im Wohnzimmer, einige Familienfotos, Frauen in Maravans Alter, Kinder, Jugendliche, eine kleine weißhaarige Frau, um die Maravan den Arm gelegt hatte. Und ein älteres formelles, retuschiertes und koloriertes Studiofoto von einem ernsten jungen Paar, vielleicht die Eltern.
Andrea schloss die Tür und öffnete die andere. Sie betrat einen Raum, der aussah wie die Miniaturausgabe einer professionellen Küche. Viel Stahl und viel Weiß und überall Töpfe und Pfannen und Schüsseln. Es war, wie ihr erst jetzt auffiel, der einzige Raum mit einem Geruch, obwohl die Balkontür weit offen stand.
Maravan kam ihr mit einem Tablett entgegen. »Der Gruß aus der Küche«, sagte er und merkte, dass der Satz etwas komisch klang, wenn er in einer Küche ausgesprochen wurde. Sie lachten beide, und Andrea setzte sich auf ihren Platz.
Die Tellerchen enthielten fünf winzige Chapatis, sonst nichts.
Andrea nahm sich eines, roch daran und wollte es in den Mund stecken.
»Moment.« Maravan nahm eine Pipette, die in einem Glasgefäß auf dem Tablett lag, und träufelte drei Tropfen einer Flüssigkeit darauf. »Jetzt.«
Sofort stieg von dem kleinen Fladen ein so fremdartiger und doch vertrauter Duft auf, dass sie ihren Plan aufgab, einen frühen Abgang anzukündigen. »Was ist das?«
»Curryblätter und Zimt in Kokosöl. So duftete meine Jugend.«
»Und wie hast du das eingefangen?«
»Kochgeheimnis.« Auf alle Chapatis träufelte Maravan ein paar Tropfen der Essenz. Dann setzte er sich Andrea gegenüber.
»Du musst eine schöne Jugend gehabt haben, dass du dich gerne an ihren Duft erinnerst.«
Maravan ließ sich Zeit mit der Antwort. Als müsste er erst noch entscheiden, ob seine Jugend schön war. »Nein«, meinte er schließlich. »Aber das wenige, das schön war, roch so.«
Er erzählte ihr von seiner Zeit in Nangays Küchen, der großen, vornehmen und der kleinen, grobgezimmerten. Mitten im Satz entschuldigte er sich, erhob sich geschmeidig von seinen Kissen, verschwand für kurze Zeit und
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