Der Koch
kam mit dem ersten Gang zurück.
Er bestand aus zwei ineinander verschlungenen braunen Bändern, das eine hart und knusprig, das andere geschmeidig und fest. Beide waren aus dem gleichen, seltsam süßlicherdigen Rohstoff gemacht, aber durch ihre grundverschiedene Beschaffenheit schmeckten sie wie Tag und Nacht. Andrea konnte sich nicht erinnern, jemals etwas so Eigenartiges mit so viel Genuss gegessen zu haben.
»Wie heißt das?«, wollte sie wissen.
»Mann und Frau«, antwortete Maravan.
»Und welches ist die Frau?«
»Beides.« Er schenkte ihr Champagner nach - Bollinger Special Cuvee, im Huwyler für hundertdreißig Franken auf der Karte -, räumte die Teller ab und ging wieder in die Küche. Sie trank einen Schluck und betrachtete sein volles Glas, von dessen Grund nur noch selten ein von Kerzenlicht erfülltes Bläschen hochstieg.
»Und wie heißt das?«, fragte sie, als er den nächsten Teller vor sie hinstellte.
»Nord-Süd.«
Auf dem Teller lagen drei unregelmäßig geformte hellgelbe Gebilde, wie Steine aus Schwefel. Als sie sie anfasste, fühlten sie sich hart und kalt an, aber als sie es Maravan nachtat und reinbiss, war ihr Inhalt lauwarm und luftig und schmolz zu etwas Geschmeidigem, Freundlichem, das süß nach exotischem Konfekt schmeckte.
Um diese kleinen Eis-Sphären standen Gel-Zylinder in einem anderen Gelb, durch die im Kerzenlicht gelborangefarbene Safranfäden durchschimmerten. Im Mund entfalteten sie sich zu einer weiteren Belohnung für den Mut, in die eisigen Schwefelbrocken gebissen zu haben. »Das hast du erfunden?«
»Die Zutaten stammen aus einem uralten Rezept, nur die Zubereitung ist von mir.«
»Und der Name bestimmt auch.«
»Ich hätte es ebenfalls Mann und Frau nennen können.«
Kam es ihr nur so vor, oder war da etwas Anzügliches in seiner Stimme? Es war ihr egal.
Bis jetzt war ihr das Essen mit der Hand leichtgefallen, die Gerichte waren alle handlich wie Fingerfood. Aber nun servierte Maravan die Currys.
Drei Teller, auf jedem eine kleine Portion Curry, jedes auf dem Podest einer anderen Sorte Reis präsentiert und mit einem Schlenker Schaum und einem glasierten Zweiglein geschmückt.
»Ladies'-Fingers-Curry auf Sali-Reis mit Knoblauchschaum. Curry vom jungen Huhn auf Sashtika-Reis mit Korianderschaum. Churaa Varai auf Nivara-Reis mit Mintschaum«, verkündete Maravan.
»Was ist Churaa Varai?«
»Haifisch.«
»Ach.«
Er wartete, bis sie zu essen anfing.
»Du zuerst«, forderte sie ihn auf und sah ihm zu, wie er mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger den Reis mit etwas Curry zu einem Bällchen formte und in den Mund steckte.
Beim ersten Versuch stellte sich Andrea noch etwas ungeschickt an, aber sobald sie den ersten Bissen im Mund hatte, achtete sie nicht mehr auf die Technik, nur noch auf den Geschmack. Es war, als könnte sie jedes Gewürz herausschmecken. Als würde jedes einzeln explodieren und das Ganze sich zu einem sich immer wieder neu formierenden Feuerwerk entfalten.
Auch die Schärfe war genau richtig. Sie brannte nicht auf der Zunge, machte sich kaum bemerkbar und hielt sich für den Abgang bereit. Und auch dann verhielt sie sich wie ein zusätzliches Gewürz, eine letzte Intensivierung des Geschmackserlebnisses, und hinterließ eine wohlige Wärme, die in der Zeit, die Andrea brauchte, um einen neuen Bissen zu formen, sanff verebbte.
»Hast du Heimweh?«, fragte sie.
»Ja. Aber nicht nach dem Sri Lanka, das ich verließ. Nur nach dem, in das ich zurückkehren möchte. Ein friedliches. Ein gerechtes.«
»Und vereintes?«
Maravans Rechte bewegte sich, als hätte sie sich losgelöst von seinen Hirnbefehlen und erfüllte nun selbständig die Aufgabe, ihren Besitzer zu füttern. Dieser hatte seinen Blick fest auf seinen Gast gerichtet, und wenn der Mund sprach, wartete die Hand mit ihrem Bissen respektvoll und in diskreter Distanz.
»Alle drei? Friedlich, gerecht und vereint? Das wäre schön.«
»Aber du glaubst nicht daran.«
Maravan zuckte mit den Schultern. Als wäre dies das Zeichen, auf das sie gewartet hatte, setzte sich die Hand in Bewegung, schob ein Reisbällchen in den Mund und machte sich daran, ein neues zu formen.
»Lange habe ich daran geglaubt. Sogar meine Stelle als Koch in Kerala habe ich aufgegeben und bin nach Sri Lanka zurückgekehrt.«
Maravan erzählte von seiner Ausbildungszeit in Kerala und seiner Karriere in verschiedenen Ayurveda Wellness Resorts. »Noch ein Jahr, und ich wäre Chef gewesen«, seufzte er.
»Und
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