Der Koch
nicht endlich die Branche wechselte. Die Antwort war jedes Mal: Weil sie nichts anderes gelernt hatte - sie war nun mal Serviceangestellte.
Ursprünglich wollte sie Hotelmanagerin oder Wirtin werden. Sie hatte die Hotelfachschule begonnen und war bei einem Praktikum im Service hängengeblieben. Sie hatte die Nase voll gehabt von der Schule, und die Möglichkeit, nach einer kurzen Lehre in verschiedenen Hotels zu arbeiten, im Sommer am Comersee oder in Ischia, im Winter im Engadin oder im Berner Oberland, kam ihrer unsteten Natur entgegen. Die Arbeit war nicht schlecht bezahlt, wenn man aussah wie sie und wusste, wie man sich Trinkgelder holte. Sie besaß gute Zeugnisse und Erfahrung und hatte es immerhin bis zum Demichef de Rang gebracht.
Andere Jobs hatte sie auch schon ausprobiert. Zum Beispiel Reiseleiterin vor Ort. Ihre Aufgabe hatte vor allem darin bestanden, am Flughafen von Kos ein Schild mit dem Namen ihres Reiseveranstalters in die Höhe zu halten, die ankommenden Gäste auf die verschiedenen Hotelbusse zu verteilen und ihre Reklamationen entgegenzunehmen. Andrea merkte bald, dass sie sich lieber mit zu wenig oder zu gut durchgebratenen Steaks herumschlug als mit fehlendem Feriengepäck oder Zimmern auf die Straße anstatt aufs Meer.
Einmal hatte sie sich sogar bei Miss-Wahlen beworben. Sie kam auch weiter, und man hatte ihr Chancen eingeräumt. Bis sie dumme Kuh bei einem Fotoshooting im Badeanzug der Teufel ritt und sie auf die Frage des Fotografen, ob sie schon einmal professionell gemodelt habe, antwortete: »Nicht mit so viel an.«
Chez Huwyler war eine gute Adresse und würde Eindruck machen in ihrem Lebenslauf. Aber nur, wenn sie es ein wenig länger aushielt als nur die üblichen paar Monate. Ein halbes Jahr, besser ein ganzes.
Auf der anderen Seite des Ganges, ihr schräg gegenüber, saß ein Mann zwischen dreißig und vierzig. Sie sah im Spiegelbild der Fensterscheibe, wie er sie anstarrte. Jedes Mal, wenn sie den Kopf drehte, lächelte er ihr zu. Sie nahm eine zerlesene Gratiszeitung vom Nebensitz und verschanzte sich dahinter.
Vielleicht sollte sie noch einmal von vorne anfangen. Sie war erst achtundzwanzig, da konnte man noch eine Ausbildung beginnen. Sie besaß einen Mittelschulabschluss, mit dem sie an die Kunstschule könnte. Oder wenigstens die Aufnahmeprüfung machen. Fotografie, oder noch lieber: Film. Mit etwas Glück bekam man ein Stipendium. Oder eine andere staatliche Hilfe.
Ihre Station wurde ausgerufen. Andrea stand auf und ging zur weiter entfernten Tür, um nicht an dem starrenden Mann vorbeigehen zu müssen.
In einer Pfanne garten Okras mit grünen Chilis, Zwiebeln, Bockshornkleesamen, rotem Chilipulver, Salz und Curryblättern. Die dicke Kokosmilch stand noch in einer Schale neben dem Herd. Maravan hatte sich für Okras als Gemüse entschieden, wegen des englischen Namens: Ladies' Fingers, Damenfinger.
Auch das Pathiya Kari war ein weibliches Gericht: Man bereitete es für stillende Mütter zu. Er hatte das Fleisch von jungen Hühnern in etwas Wasser und Zwiebeln, Bockshornklee, Gelbwurz, Knoblauch und Salz gegart und danach eine der Gewürzmischungen der vergangenen Nacht - Koriander, Kreuzkümmel, Pfeffer, Chili, Tamarindenpaste - in dieser Hühnerbouillon aufgekocht, vom Feuer genommen und zugedeckt. Kurz vor dem Anrichten würde er es noch einmal erhitzen.
Das männliche Element seines Menüs war ein Gericht aus Haifischfleisch: Churaa Varai. Er hatte ein gekochtes Haifischsteak zerfasert und mit geriebener Kokosnuss, Gelbwurz, Kümmel und Salz gemischt und beiseitegestellt. In einer Eisenpfanne hatte er Zwiebeln in Kokosöl glasig gedünstet, getrocknete Chilis, Zwiebelsamen und Curryblätter hinzugefügt, gerührt, bis die Samen hüpften, und die Pfanne vom Herd genommen. Kurz vor dem Servieren würde er sie wieder erhitzen, die Haifisch-Gewürzmischung dazugeben und alles vermengen.
Diese drei traditionellen Gerichte dienten Maravan als Beweis für seine Behauptung, dass er Currys kochen konnte, und als Vorwand für das, was er um sie herumbaute. Er würde sie in kleinen, überschaubaren Portionen servieren und als einzige Hommage an die experimentelle Küche mit drei verschiedenen Airs - Koriander-, Minze- und Knoblauchschaum - und im Stickstoff verglasten Curryzweiglein anrichten.
Maravan war nämlich Besitzer eines Isolationsbehälters, in welchem er für kurze Zeit Flüssigstickstoff aufbewahren konnte. Er hatte ihn ein Fünftel seines Monatseinkommens
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