Der Koch
sagte, die Informationen dienten ihm dazu, sein Einkommen aufzubessern, nannte sie ihm Zutaten und Rezepte und gab ihm bereitwillig und detailliert Auskunft.
Das Gespräch dauerte lange. Und als es beendet war, war Maravans Notizheft fast vollgeschrieben.
4
Am darauffolgenden Sonntagmittag war der Huwyler erfreulich gut besetzt gewesen. Der Abend war ruhig, die letzten Gäste gingen früh, wie immer am Sonntagabend.
Maravan war der Letzte des Küchenpersonals. Er stand bei der Pfannenreinigung und war mit den diffizileren der Küchengeräte beschäftigt: Thermostaten, Jet-Smoker und Rotationsverdampfer.
Er wartete, bis das Reinigungspersonal die Küche betreten hatte, und brachte dann die Geräte in den Materialraum. Anschließend begab er sich in die Garderobe.
Mit geübten Handgriffen entfernte er die gläsernen Bestandteile des Rotationsverdampfers, rollte sie in zwei T-Shirts, verstaute sie in einer Sporttasche, achtete darauf, dass sie dort gegen das schwere Gehäuse mit dem Behälter des Heizbades und der Elektronik gut abgepolstert lagen.
Maravan zog sich aus, schlang ein Frottiertuch um die Hüfte, warf die Arbeitskleidung in den Wäschekorb, stopfte die Unterwäsche in die Sporttasche, nahm Shampoo und Seife aus dem Fach und ging unter die Dusche. Fünf Minuten später kam er wieder heraus, nahm den Kleidersack aus dem Spind und zog sich an.
Auf dem Weg zum Ausgang schaute er noch im Weinlager vorbei. Als er mit der schweren Sporttasche den Huwyler durch den Lieferanteneingang der Küche verließ, trug er eine schwarze Hose, einen dunkelblauen Rollkragenpullover und seine Lederjacke. Er roch nach nichts.
Noch am gleichen Abend machte er sich an die Arbeit. Er löste die Körnchen aus den Rispen des Langpfeffers, entkernte getrocknete Kaschmir-Chilis, maß schwarze Pfefferkörner ab, Kardamom-, Kümmel-, Fenchel-, Bockshornklee-, Koriander- und Senfsamen, schälte Turmeric-Wurzeln, zerbrach Zimtstangen und röstete alles in der Eisenpfanne einzeln bis zu dem Punkt, an dem es seinen vollen Duft entfaltete. Er mischte die Gewürze in verschiedenen, sorgfältig abgewogenen Kombinationen und mörserte sie zu feinen Pulvern, die er entweder noch in der gleichen Nacht verwendete oder in Gläsern luftdicht verschlossen und etikettiert bis zum nächsten Tag verwahrte.
Bis in die Morgenstunden rotierte der Verdampfer mit verschiedenen Inhalten, weißes Curry, mit Milch und Kichererbsenmehl verquirlter Sali-Reis und - natürlich - das unnachahmliche Kokosöl mit Curryblättern und Zimt.
In einer Pfanne klarte auf kleiner Flamme frische Butter zu Ghee, und in tönernen Gefäßen vermählten sich warmes Wasser und geriebene Kokosnuss zu Milch.
Es dämmerte schon, als Maravan sich auf seine Matratze auf dem Schlafzimmerboden legte zu einem kurzen, von seltsamen erotischen Träumen immer wieder auf das Angenehmste unterbrochenen Schlaf.
Andrea war kurz davor gewesen, Maravan anzurufen und ihm unter einem Vorwand abzusagen. Sie verfluchte sich für ihr Helfersyndrom. Maravan wäre auch ohne sie zurechtgekommen. Wahrscheinlich sogar besser. Wahrscheinlich hatte sie mit ihrem stupiden Eingreifen die Situation für ihn nur schlimmer gemacht. Nicht wahrscheinlich, ganz bestimmt.
Dieser Einsicht hatte es Maravan zu verdanken, dass sie jetzt im Tram saß, auf dem Schoß ihre Handtasche und eine Plastiktüte mit einer Flasche Wein.
Für den Wein als Mitbringsel hatte sie sich entschieden, weil sie nicht wusste, ob Tamilen Alkohol trinken. Falls sie es nicht taten und deshalb auch ihren Gästen keinen anboten, konnte sie dann auf diese Flasche Pinot Noir zurückgreifen. Kein Superwein, aber anständig. Anständiger vermutlich als das, was sich ein Küchengehilfe leisten konnte. Falls er überhaupt Wein im Haus hatte.
Sie hatte sich für ihn eingesetzt, weil sie die Köche, besonders diesen Fink, nicht ausstehen konnte. Nicht, weil sie auf Maravan stand. Das würde sie ihm von Anfang an beibringen müssen, eine diplomatische Mission, in der sie Übung besaß.
Ihre Abneigung gegen Köche wuchs mit jedem Stellenwechsel. Vielleicht lag es an der strengen Hierarchie, die in den Küchen herrschte. Daran, dass sich Köche benahmen, als hätten sie ein Anrecht auf das weibliche Servicepersonal. So kam es ihr jedenfalls vor.
Denn in den Küchen, auch in den einfachsten, wurde ein Starkult betrieben, der dazu führte, dass sich die Köche für unwiderstehlich hielten.
Andrea fragte sich jeden Tag, weshalb sie
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