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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Essenz aus Curryblättern, Zimt und Kokosöl auf die kleinen Chapatis.
    »Hoffentlich keine Chemie«, bemerkte Esther Dubois. »Kochen ist Chemie und Physik«, antwortete Maravan höflich.
    Sie nahm das Chapati, roch daran, schloss die Augen, biss ein Stück ab, kaute feierlich und schlug die Augen auf. »Ein unvergleichliches Stück Chemie und Physik.«
    Die Therapeutin, sonst eine mitteilsame Frau, sprach kaum während des ganzen Essens. Sie beschränkte sich darauf, in allen Tonlagen zu seufzen und zu stöhnen, die Augen zu verdrehen und sich theatralisch Luft zuzufächeln. Einmal erklärte sie: »Weißt du, was das Geilste ist? Mit der Hand essen.«
    Und als sie mit einem glücklichen Seufzer das letzte der glasierten Herzchen geschluckt hatte, fragte sie: »Und jetzt? Dein hübscher Guru?«
    Aber der hübsche Guru war schon gegangen.
     
    Das Essen hatte auch dieses dritte Mal die gleiche Wirkung auf Andrea ausgeübt. Es war ein wunderbarer Abend und eine wunderbare Nacht geworden, obwohl sie mit Esther Dubois als Person nichts anfangen konnte. Sie war ihr etwas zu intellektuell und etwas zu aufgeschlossen. Andrea mochte diese Bi-Frauen nicht, die eine offene Beziehung mit ihrem Mann lebten und gegen Mitternacht anrufen konnten und sagen: »Ich komme nicht mehr, heute Nacht, Honey. Morgen erzähl ich dir alles.«
    Am nächsten Morgen, jedenfalls, war sie froh, dass Esther schon so früh aufgestanden war und sich noch vor dem Frühstück aus dem Staub gemacht hatte, wie ein untreuer Ehemann.
    »Du hörst von mir«, sagte Esther, als sie noch einmal ins Schlafzimmer kam und sie auf die Stirn küsste. Das Versprechen bezog sich auf ein kurzes, geschäftliches Gespräch in dieser Liebesnacht. Andrea war sich ziemlich sicher, dass sie es halten würde.
    »Funktioniert das immer?«, hatte Esther mit verschlafener Stimme gefragt.
    »Bei mir schon. Einmal sogar mit einem Mann!«
    »Ich wusste gar nicht, dass du auch mit Männern.«
    »Ich auch nicht.«
    »Schon erstaunlich. Was tut er da rein?« »Es sind uralte ayurvedische aphrodisische Rezepte. Aber kocht sie auf seine ganz spezielle Art.« »Weißt du, wie viele meiner Patienten ihren rechten Arm geben würden für so ein Essen?«
    »Schick sie vorbei«, antwortete Andrea nur, kuschelte sich die Decke und schlief endlich ein.
     

16
    Dalmann war überzeugt, dass Schaeffer ihn der Lächerlichkeit preisgeben wollte. Der Jogginganzug, den er ihm besorgt hatte, war rot mit neongelben Einsätzen. »Hast du nichts Auffälligeres gefunden?«, hatte er ihn gefragt.
    »Man bevorzugt in dieser Saison die mehr expressiven Farben. Nicht zuletzt auch aus Sicherheitsgründen.« »Wer sagt das?«
    »Ich habe mich von Fachleuten beraten lassen«, antwortete der Mitarbeiter etwas pikiert.
    Dieses Outfit trug Dalmann jetzt, aber er musste zugeben: Es war ihm scheißegal. Die anderen sahen auch nicht besser aus in ihren zu engen oder zu weiten Dresses. Wie sie, außer Atem, hochrot und hilflos ihren Fitnessgeräten ausgeliefert, versuchten, die Sünden der letzten Jahrzehnte ungeschehen zu machen.
    Dalmann saß auf einem Ergometer und trat sparsam in die Pedale. In der Ablage vor dem Lenker lag das Blatt mit seinem persönlichen Fitnessprogramm. Er ließ die anderen Übungen aus und konzentrierte sich auf den Ergometer. Dort konnte er die Anstrengung dosieren und dabei sitzen. Der Kurarzt hatte ihm geraten, die Übungen täglich zu machen, doch nie bis an die Leistungsgrenze zu gehen. An Letzteres hielt sich Dalmann strikt.
    Man hatte ihm einen Stent eingesetzt. Ein Röhrchen, das das verengte Herzkranzgefäß, das am Infarkt schuld war, ausweitete. Der Eingriff war nicht besonders groß gewesen, er hatte ihn gut überstanden und musste jetzt noch diese lästige Kur machen und ein Mittel zur Regulierung der Blutgerinnung schlucken, damit das Röhrchen offen blieb. Zusätzlich sollte er etwas gesünder leben, aufpassen beim Essen und Trinken und - was ihm am schwersten fiel - das Rauchen aufgeben.
    Früher hatte er immer gesagt: Lieber tot als in der Kuranstalt. Aber jetzt fand er es gar nicht so schlimm. Es war wie ein luxuriöses Hotel mit einem etwas professionelleren Spa. Nun gut, die Gäste waren älter und gebrechlicher, und ihr einziges Gesprächsthema war die Gesundheit. Aber er musste ja nicht mit ihnen reden. Jeden zweiten Tag kam Schaeffer mit seinem Aktenkoffer vorbei, und sie arbeiteten ein paar Stunden in Dalmanns Suite.
    Sein Puls war auf über neunzig gestiegen.

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