Der Koch
der Stadt. Bei dieser Art von Essen,
Love Menüs
nannte es Andrea, war die Anwesenheit des Kochs im selben Raum natürlich unerwünscht.
Maravan war die Situation etwas peinlich und der Gastgeberin, Frau Meilinger, ganz offensichtlich auch. Sie war näher bei sechzig als bei fünfzig, sehr gepflegt und etwas staksig, vielleicht nur heute und aus gegebenem Anlass. Immer wieder tauchte sie unter einem Vorwand in der Küche auf, hielt affektiert eine Hand vor die Augen und rief: »Ich gucke nicht, ich gucke nicht!«
Herr Meilinger hatte sich in sein Arbeitszimmer zurückgezogen. Auch ihm schien die Sache etwas unangenehm zu sein. Er war ein hagerer Mann in den Sechzigern mit weißem kurzgeschorenem Haar, schwarz gestylt und mit einer schwarzgeränderten Brille. Er war kurz aufgetaucht und hatte Maravan mit einem verlegenen Räuspern begrüßt. Als gleich darauf Andrea in die Küche kam, hatte sich sein missmutiger Gesichtsausdruck aufgehellt. Dann hatte er sich entschuldigt und gemurmelt: »Ich überlasse Sie jetzt Ihren Zauberkünsten.«
Einzig Andrea war die Sache nicht peinlich. Sie bewegte sich mit großer Unbefangenheit in diesem überdimensionierten Penthouse, als sei es ihr eigenes, und trug ihren goldgelben Sari mit großer Selbstverständlichkeit. Maravan fand Europäerinnen im Sari zwar immer etwas unpassend, aber an Andrea mit ihrem langen schwarzen glänzenden Haar wirkte er einigermaßen authentisch, trotz ihres schneeweißen Teints.
Das Menü war das bewährte:
Minichapatis mit Curryblätter-Zimt-Kokosöl-Essenz
Urd-Linsen-Cordons in zwei Konsistenzen
Ladies'-Fingers-Curry auf Sali-Reis mit Knoblauchschaum
Curry vom jungen Huhn auf Sashtika-Reis mit Korianderschaum
Churaa Varai auf Nivara-Reis mit Mintschaum
Gefrorene Safran-Mandel-Espuma und ihre Safran-Texturen
Süß-pikante Kardamom-Zimt-Ghee-Sphären
Glasierte Kichererbsen-Ingwer-Peffermüschelchen
Gelierte Spargel-Ghee-Phallen Eislutscher aus Lakritze-Honig-Ghee
Andrea hatte ihn zu einer gestalterischen Neuerung überredet. Sie hatte vorgeschlagen, den gelierten Spargel-Ghee anstatt in Form von Spargeln in Form von Penissen zu servieren. Und die glasierten Herzchen in Form von Muschis, wie sie es nannte. Maravan hielt es für zu direkt und hatte sich gesträubt. Aber Andrea hatte gesagt: »Ich habe Fotos von erotischen Fresken gesehen, die deine Vorfahren vor tausendfünfhundert Jahren an die Felswände von Sigiriya gemalt haben. Also tu nicht so prüde.«
Maravan gab nach. Aber er deckte sein Konfekt verschämt mit Backpapier ab. Falls Frau Mellinger wieder unverhofft in der Küche auftauchte.
Wenn
Love Food
eine offizielle Firma mit Signet wäre, müsste es für Andrea eine Tempelglocke sein. Sie saß bei Maravan in der Küche und lauschte auf das Klingeln aus dem Zimmer, wo die Mellingers ihrer Beziehung neue Impulse gaben. Immer wieder glaubte sie, etwas gehört zu haben, eilte hinaus, lauschte an der Tür und kam unverrichteter Dinge zurück.
»Und was machen wir, wenn es nicht funktioniert?«, fragte Maravan.
»Es wird funktionieren«, antwortete Andrea bestimmt. »Und falls nicht, werden wir es nicht erfahren. Niemand gibt zu, dass er weit über tausend Franken für ein erotisch stimulierendes Essen ausgegeben hat, das nicht funktioniert hat.«
Als sie den Champagner und die Appetizer serviert hatte, kam sie kichernd zurück. »Sie ist in wallende Tücher gehüllt, durchsichtige«, wusste sie zu berichten.
Nach den Linsen-Cordons rapportierte sie: »Ich habe die Vorspeise wie du als >Mann und Frau< präsentiert, und er hat gefragt: >Welches ist der Mann, das Weiche oder das Harte ?<«
Maravan schwieg verlegen.
»Ich sagte natürlich: >Beides.<« Andrea machte eine Kunstpause. »Und sie: >Hoffentlich.<«
Die Zeitabstände zwischen den Gängen wurden länger. Andrea ging zwischendurch auf die Dachterrasse und rauchte. Es war dunkel geworden, die Stadt spiegelte ihre Lichter im See, die Vororte sprenkelten die Hügel mit Lichtpunkten.
Nach dem Hauptgang blieb die Tempelglocke stumm. Maravan wurde nervös. Der nächste Gang war der heikelste, was das Timing anging. Er musste die Sphären fünf Minuten in Alginwasser kochen, kalt spülen, mit Ghee injizieren und danach etwa zwanzig Minuten bei sechzig Grad warm stellen. Er konnte keine halbe Stunde bis zum Dessert verstreichen lassen und hatte deshalb zehn Minuten, nachdem Andrea die Curryvariationen serviert hatte, die Sphären geformt, gekocht, injiziert und
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