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Der Koch

Der Koch

Titel: Der Koch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Suter
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Dalmann reduzierte die gemächliche Tretfrequenz noch ein bisschen mehr und noch ein bisschen mehr, hörte schließlich ganz auf zu treten und stieg ab.
    In der Garderobe schlüpfte er in den weißen Frotteemantel mit dem großen gestickten Hotelemblem auf der Brust, ging zum Kiosk, kaufte sich die wichtigsten Tageszeitungen und schlurfte zum Lift, der ihn auf seine Etage brachte.
    Die Zeitungen berichteten über den Rücktritt von Pervez Musharraf. Dalmann fragte sich, was das wohl für seine Pakistan Connection für Folgen hatte.
    Er würde jetzt duschen, normale Kleider anziehen und sich auf dem Balkon eine Zigarette erlauben. Er wohnte in einer Nichtrauchersuite voller Rauchmelder.
    Aber als er fertig angekleidet in den Salon zurückkam, war es im Zimmer so dunkel, dass er Licht machen musste. Tiefhängende Gewitterwolken hatten den trüben Sommertag zur Nacht gemacht. Dalmann öffnete die Balkontür. Der hellbeige Spannteppich färbte sich dunkel vom Regen, der vom Balkonboden aufspritzte.
     

SEPTEMBER 2008

17
    Nationalbanken aus aller Welt pumpten Milliarden in den Finanzmarkt, um die Liquidität zu sichern. Zehn Großbanken gründeten einen Fond mit siebzig Milliarden Dollar, um eine internationale Börsenpanik zu verhindern. Und Lehman Brothers, die viertgrößte Investmentbank Amerikas, war zahlungsunfähig.
    Vielleicht nicht die beste Zeit, um eine Firma zu gründen, dachte Andrea, nachdem Esther Dubois aufgelegt hatte.
    Diese hatte Wort gehalten und schon zwei Tage nach dem Essen angerufen, um einen Termin für ein »Patientenpaar« zu machen. Andrea hatte zugesagt, aber jetzt kamen ihr Zweifel. Sie setzte sich im Wintergarten in den knarrenden Rattansessel, den sie noch mit Dagmar auf dem Flohmarkt entdeckt und dunkelgrün gestrichen hatte, und zündete sich eine Zigarette an.
    Wenn sie über ihr Leben nachdachte, kam es ihr vor wie eine lange Reihe unüberlegter Entscheidungen. Sie war schnell zu begeistern und leicht zu langweilen. Ausbildung, Berufswahl, Liebesbeziehungen, Arbeitsstellen - alles zufällig, spontan und wechselhaft. War es wirklich das, was sie wollte? Einen großen Teil ihres verbliebenen Geldes in einen Cateringservice für erotische Menüs investieren, der nicht einmal legal arbeiten konnte.
    Sie hatte sich erkundigt: Um die Polizeibewilligung zum Betrieb eines Cateringservices zu erhalten, erfüllte sie die Voraussetzung. In einem Monat wäre das erledigt. Aber das fast unüberwindbare Hindernis war die Hygieneverordnung. Die unzähligen Vorschriften für Küche und Material waren weder in ihrer noch in Maravans Küche - so blitzsauber sie auch war - zu erfüllen. Selbst wenn sie es schafften, müssten sie die Lokalitäten bei einem Ortstermin mit Wirtschaftspolizei, Lebensmittelkontrolle, Baupolizei und Feuerwehr inspizieren und abnehmen lassen. Kam dazu, dass Maravan als Asylbewerber keine selbständige Tätigkeit ausüben durfte. Sie könnte ihn auch nicht als Koch anstellen, höchstens - die Bewilligung des Amts für Wirtschaft vorausgesetzt - als Küchenhilfe, und sich selbst als Köchin ausgeben. Das war alles zu kompliziert für ein Projekt, das auch scheitern konnte. Und wer würde ihr die Investitionen zurückzahlen, falls sie die Bewilligung nicht bekäme? Wenn sie wirklich in der Praxis ausprobieren wollte, ob die Sache funktionierte, blieb ihr nur eine Möglichkeit: es schwarz zu tun. Wenigstens am Anfang.
    Sie brauchte das alles nicht. Eine Woche nach der fristlosen Kündigung bei Huwyler hatte sie bereits wieder einen Job gehabt. Keinen so eleganten und kulinarischen, aber nicht schlechter bezahlt und mit einem jüngeren, angenehmeren Publikum. Das Restaurant hieß Mastroianni und war ein Italiener mitten in der Clubszene der Stadt. Selbst wenn sie dort kündigte - was sie vorhatte, denn die Arbeitszeiten waren ihr zu nächtlich -, würde sie schnell wieder etwas anderes finden.
    Sie drückte ihre halbgerauchte Zigarette aus und ließ die Sonnenstores vor dem Westfenster herunter. Es war ein warmer Sommertag, die Nachmittagssonne würde sonst bald den Wintergarten aufheizen. Das durch das verschossene Braun des Stoffes gefilterte Licht gab dem Raum mit seiner zusammengewürfelten Möblierung und den beiden verstaubten Zimmerpalmen ein altmodisches Flair. Andrea setzte sich wieder und gab sich dem Gefühl hin, Bestandteil einer vergilbten Fotografie zu sein.
    Vielleicht wäre es besser gewesen, sich von Maravan fernzuhalten, nachdem sie hinter sein Geheimnis gekommen

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