Der Koenig aller Krankheiten - Krebs, eine Biografie
ergehen lassen, bis schließlich ein CT-Scan eine zwölf Zentimeter dicke, feste, kugelige Masse sichtbar machte, die gegen ihren Magen drückte. Am 4. Januar 2000 nahm ein Radiologe eine Biopsie des Tumors vor, und unter dem Mikroskop zeigten sich Schichten spindelähnlicher, sich rasant teilender Zellen. Der Tumor, der in umliegende Blutgefäße eingedrungen war und sich gegen das normale Gewebe stemmte, war der seltene gastrointestinale Stromatumor, kurz GIST.
Damit nicht genug: Weitere Scans zeigten Flecken in der Leber, geschwollene Lymphknoten und einen ganzen Schwall von Knoten, die den linken Lungenflügel übersäten. Der Krebs hatte in den ganzen Körper metastasiert. Ein operativer Eingriff war unmöglich, und im Jahr 2000 war keine Chemotherapie bekannt, die gegen diese Art Sarkom wirkte. Die Ärzte in Alabama stellten eine Kombination von Chemotherapeutika zusammen, im Wesentlichen aber warteten sie einfach ab. »Ich unterschrieb Briefe, zahlte meine Rechnungen, machte mein Testament«, erinnerte sie sich. »Dass das Urteil gefällt war, stand außer Frage. Man schickte mich heim zum Sterben.«
Im Winter 2000, nachdem ihr Todesurteil feststand, stieß Germaine auf eine virtuelle Gemeinschaft von Leidensgenossen – GIST-Patienten, die über eine Website miteinander kommunizierten. Das Forum war, wie die meisten seiner Teilnehmer, eine eigenartige, moribunde Angelegenheit, ein Austausch von Verzweifelten, die verzweifelte Heilmittel suchten. Ende April aber breitete sich wie ein Lauffeuer die Nachricht von einem neuen Arzneimittel aus. Das neue Mittel war kein anderes als Glivec 6 – Imatinib –, derselbe Wirkstoff, mit dem Druker sensationelle Erfolge bei chronisch-myeloischer Leukämie erzielte. Glivec bindet und inaktiviert nicht nur das Bcr - Abl -Protein, sondern dank eines glücklichen Zufalls auch eine weitere Tyrosinkinase, die c-Kit genannt wird. Genauso wie aktiviertes Bcr - Abl bei CML die Krebszellen dazu bringt, sich zu teilen und zu wuchern, ist c-Kit bei GIST eine Driver-Mutation. In frühen Studien hatte sich Glivec als bemerkenswert klinisch aktiv gegen c-Kit und infolgedessen gegen GIST erwiesen.
Germaine setzte alle Hebel in Bewegung, um in eine der Studien aufgenommen zu werden. Sie hatte eine sehr überzeugende und mitreißende Art, konnte schmeicheln, beschwatzen, bedrängen, drangsalieren, flehen und fordern – und ihre Krankheit machte sie kühn. (»Heilen Sie mich, Doktor, und ich schicke Sie nach Europa«, sagte sie einmal zu mir – ein Angebot, das ich dankend ablehnte.) Sie fand Aufnahme in einem Lehrkrankenhaus, wo den Patienten das Medikament probeweise verabreicht wurde, aber kaum war sie dort untergekommen, erwies sich Glivec als derart wirksam, dass sich die Behandlung einer GIST-Kontrollgruppe mit einem Placebo nicht länger rechtfertigen ließ. Im August 2001 begann Germaine mit der Einnahme von Glivec. Einen Monat später begann ihr Tumor mit atemberaubendem Tempo zu schrumpfen. Ihre Energie kehrte zurück, die Übelkeit verschwand. Sie war von den Toten auferstanden.
Germaines Genesung war ein medizinisches Wunder. Die Presse von Montgomery griff die Geschichte auf. Germaine beriet andere Krebsopfer. Die Medizin beginne den Krebs endlich einzuholen, schrieb sie; es bestehe Grund zur Hoffnung. Zwar sei eine Heilung noch nicht in Sicht, doch sei der Krebs dank einer neuen Generation von Medikamenten in den Griff zu bekommen, und eine dritte Generation werde dann die Kurve nehmen, an der die erste gescheitert sei. Im Sommer 2004, gerade als sie den vierten Geburtstag ihrer unerwarteten Genesung feierte, wurde Germaines Krebs auf einmal resistent gegen Glivec. Die Knoten, die vier Jahre inaktiv gewesen waren, schwollen rachsüchtig wieder an und entstanden neu, innerhalb von Monaten, im Magen, in den Lymphknoten, der Lunge, der Leber, der Milz. Die Übelkeit kehrte zurück, so heftig wie beim ersten Mal. Die Hohlräume ihres Unterleibs füllten sich mit maligner Flüssigkeit.
Germaine ließ sich nicht beirren, sondern durchforstete abermals das Netz und suchte Rat bei der Notgemeinschaft der GIST-Patienten. Sie erfuhr, dass Studien in Boston und anderen Städten neue Medikamente, Glivec-Analoga der zweiten Generation, testeten. 2004 meldete sie sich telefonisch zu einer Studie mit einem solchen Analogon namens SU11248 an, die eben im Dana-Farber begonnen hatte, und reiste durch halb Amerika an.
Das neue Medikament schlug zeitweilig an, wirkte aber nicht sehr
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