Der König auf Camelot
und deine Verwandten aus diesem Land vertreiben. Ein
tapferer Ritter und ein gesitteter Fürst wird er sein und all seine Feinde
überwinden.« Und nachdem Merlin dies prophezeit hatte, nahm er Abschied von
Vortigern und ging seines Wegs…
KAPITEL 2
Halten wir einen Augenblick inne und
versuchen wir zu begreifen, was jene merkwürdige Episode mit dem einstürzenden
Schloß und den beiden Drachen in der Tiefe bedeutet.
Niemand anderer als Tolkien war es, der
1936 in seiner »Israel Gollancz Memorial Vorlesung« mit dem Thema »Beowulf: Die
Monster und die Kritiker« versucht hat, zu einer differenzierteren Sicht der
sich in der Vorzeit Europas mit dem Drachen verbindenden Vorstellungen zu
gelangen.
Verkürzt ausgedrückt kommt er dabei, die
Entwicklungslinie dieses Bildes in die Frühzeit Europas zurückverfolgend, zu
folgendem Ergebnis: Es gibt keinen Helden ohne Drachen. Im Drachen bildet sich
die Gefährdung des Menschen und der Welt durch ein immer vorhandenes, nie
endgültig besiegbares Böse ab.
»Soweit wir überhaupt etwas über diese
alten Dichter wissen, ist es dies: der Prinz unter diesen Helden des Nordens…
war ein Drachentöter… Fáfnisbani. « »Es ist die größte Errungenschaft der nordeuropäischen mythologischen
Imagination, daß sie dieses Problem (des radikal Bösen, des Bösen schlechthin) sieht,
die Monster in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungsweise stellt. «Mit
dem Christentum komme nun eine optimistischere, hoffnungsträchtigere Sichtweise
in die Welt. Mit dem angelsächsischen Heldengedicht »Beowulf« habe man einen
Text vor sich, in dem sich frühe und spätere Vorstellungen überblenden. Der
Dichter des »Beowulf« selbst sei wohl schon Christ gewesen, habe aber in seinem
Bewußtsein noch Erinnerungen an jene älteren Vorstellungen mit sich
herumgetragen.
Es ist klar, daß Tolkien selbst durch
seine Beowulf-Studien zum Abbild des Bösen schlechthin inspiriert worden ist,
das personifiziert dann im »Herr der Ringe« Sauron heißen wird.
Was aber hat dies mit Merlin und der
Drachen-Episode zu tun?
Nun, auch zu der Zeit, in der diese
Episode spielt, befinden wir uns in einer ganz ähnlichen Situation des
Übergangs und der Auseinandersetzung zwischen zwei unterschiedlichen
Bewußtseinszuständen. Die Briten, denen Merlin prophezeit, für die er ein
Phänomen analysiert, in dem sich das Chaos spiegelt, sind Christen.
Aber ihr christlicher Glaube hat nicht die
Wirkung, die Ordnung im Reich durchzusetzen, Frieden zu stiften und zu
erhalten.
In den Machtkämpfen haben sich die christlichen
Briten den heidnischen Invasoren, den Sachsen, nicht überlegen erwiesen.
So mag Merlins Aufdeckung des
Drachenkampfes wohl zumindest auch als Hinweis auf einen der christlichen Zeit
vorangegangenen Bewußtseinszustand zu verstehen sein, mit dessen Verschüttung
oder Überlagerung wichtige Einsichten über die Seele des Menschen und das Wesen
des Bösen verloren gegangen sind.
Merlins Verhaltensweise ist mythisch. Er
praktiziert sie in einer rational funktionierenden Gesellschaft. An der
Drachenszene wird einmal klar, daß beide Bewußtseinszustände in dieser
Geschichte anwesend sind. Es erweist sich aber auch, daß im Merlinthema von
Anfang an die Frage nach dem Wesen des Bösen, nach den Wurzeln des Chaos und
nach den Möglichkeiten des Menschen steckt, den ihm selbst innewohnenden
Kräften des Aggressiven Herr zu werden.
Beiläufig stellt sich bei einer solchen
Analyse auch heraus, daß fantasy unserer Zeit – wenigstens in ihren
besten Texten – alles andere als harmlos oder spielerisch unverbindlich ist.
Sie stellt einen Rückgriff auf eine frühe,
imaginative Form des Denkens dar, unternommen zu einem Zeitpunkt, da das
faustische Prinzip, das rationale Bewußtsein sich seiner Grenzen schmerzhaft
bewußt wird. In der Auseinandersetzung mit einem Text früher Literatur des
Nordwestens von Europa stößt der Sprachwissenschaftler Tolkien auf die
»catchwords«, die das Grundthema seines Hauptwerkes »Herr der Ringe« ergeben.
Indem er sich darüber klar wird, welche Bedeutung »Drache« und »Held«
tatsächlich haben, stellen sich ihm die Fragen, auf die er
imaginativ-erzählerisch Antwort zu geben versucht, nämlich: wie läßt sich
Macht- und Gewaltmißbrauch vermeiden? Was kann der Mensch tun angesichts des
Schattens usurpierter Macht, der auf ihn fällt und den er selbst wirft, indem er
sich zu absoluter Herrschaft über die Naturkräfte berufen fühlt? Ähnlich bei
White:
Weitere Kostenlose Bücher