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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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sorgten für Ordnung, und Angeklagte probten leise die Sätze, mit denen sie den Richter umzustimmen hofften. Ich hatte hier Leute beten hören, und ich hatte Leute weinen hören. Manche schrien obszöne Beschimpfungen durch den Saal und wurden gewaltsam hinausgeführt. Ich hatte das alles gehört, die alltägliche Kakophonie, die jeder Anwalt zu überhören lernte, aber nie war ich einer so erwartungsvollen Stille begegnet.
    Die Richterin war die ältere Frau, die mir an dem Tag, als der Leichnam meines Vaters gefunden worden war, ein so von Herzen kommendes Beileid ausgesprochen hatte. Selbst jetzt war ihr Blick nicht unfreundlich. Ich schaute von ihr zu Douglas hinüber, der einen Moment lang verunsichert wirkte. Aber dann wandte er sich zu mir um, und als er sah, dass ich ihn beobachtete, richtete er sich raubtierhaft auf. Von dort würde keine Hilfe kommen; er hatte sich festgelegt und würde bis zum Schluss gegen mich kämpfen.
    Die Richterin sprach, und obwohl sie leise sprach, rollten ihre Worte wie eine Lawine durch die Stille. »Gerichtsdiener«, sagte sie, »bitte nehmen Sie Mr. Pickens die Handschellen ab.«
    Ein Murmeln ging durch die Doppelreihe der Anwälte vor der Schranke. Douglas beugte sich über dem Anklagetisch nach vorn.
    »Einspruch, Euer Ehren. Der Beschuldigte steht unter Mordverdacht.«
    Die Richterin schnitt ihm das Wort ab. »Wollen Sie andeuten, dass Rechtsanwalt Pickens eine körperliche Bedrohung für dieses Gericht darstellt?« Ihr Spott war kaum verhüllt, und am Hals des Staatsanwalts kroch eine leise Röte hinauf.
    »Der Beschuldigte ist in Haft. Der Beschuldigte ist verdächtig, seinen eigenen Vater ermordet zu haben.«
    »Der Beschuldigte ist ein Anwalt dieses Gerichts. Er wird als solcher behandelt werden, bis seine Schuld erwiesen ist. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
    Ich hatte einen Kloß in der Kehle und war ihr zutiefst dankbar für diese Worte.
    »Jawohl, Euer Ehren«, sagte der Staatsanwalt. »Völlig klar.«
    »Gut. Gerichtsdiener, nehmen Sie ihm die Handschellen ab.« Der Angesprochene trat vor, und ich streckte ihm die Hände entgegen. Die Handschellen fielen von mir ab. Ich wollte ihr danken, aber ich konnte nur nicken.
    Die Richterin sah mich eingehender an. »Ich bitte die Anwälte nach vorn zu kommen.« Ich zögerte; ich wusste nicht, ob auch ich damit gemeint war. »Das gilt auch für Sie, Mr. Pickens.« Ich ging um den Tisch herum, und meine Schulter berührte fast die des Staatsanwalts. Zusammen traten wir vor den Richtertisch. Wir waren kaum dort, als Douglas die Richterin in scharfem Flüsterton ansprach.
    »Ich protestiere noch einmal, Euer Ehren. Dieser Mann ist hier als Beschuldigter, nicht als Anwalt. Diese Vorstellung untergräbt meine Position in diesem Gerichtssaal und in diesem Verfahren.«
    Die Richterin beugte sich vor. »Und ich habe meine Position in diesem Punkt soeben unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. Im Gegensatz zu Ihnen, Herr Staatsanwalt, werde ich die Beweiserhebung abwarten, bevor ich diesen Mann verurteile, in Gedanken oder sonst wie. Er war zehn Jahre lang als Mitglied dieses Gerichts tätig, und ich bin nicht bereit, so zu tun, als wäre das anders.«
    »Ich möchte, dass mein Einspruch zu Protokoll genommen wird.«
    »Gut. Das ist geschehen. Aber dies ist mein Gericht, und ich werde es führen, wie ich es für richtig halte. Mr. Pickens wird nicht behandelt wie ein gewöhnlicher Straßengangster.«
    »Die Justiz soll blind sein, Euer Ehren.«
    »Blind, aber nicht blöd.« Die Richterin sah mich an. »Und nicht völlig gefühllos.«
    »Danke, Euer Ehren«, brachte ich hervor.
    Sie betrachtete mich eine ganze Weile, bevor sie sprach.
    »Wie kommen Sie an dieses blaue Auge, Mr. Pickens?«
    Meine Finger bewegten sich von allein und berührten die violette Schwellung unter meinem linken Auge. »Nichts Ernstes, Euer Ehren. Eine Auseinandersetzung mit einem anderen Häftling. Heute früh.«
    »Gerichtsdiener?« Sie sah ihn an.
    Der Gerichtsdiener räusperte sich. »Einer der Häftlinge hat versucht, ihn einzuschüchtern, Euer Ehren. Aber nur verbal. Mr. Pickens hat angefangen.«
    »Das ist nicht die ganze Geschichte, Euer Ehren.«
    Sie sah mich an. »Möchten Sie das ausführen?«
    »Nicht so wichtig.« Ich dachte an den Häftling von der anderen Seite des Flurs. Ich hatte ihn nie vertreten, aber ich hatte ihn seit Jahren immer wieder im Gericht gesehen. Er war ein Junkie, der seine Frau verprügelte. Er war geradewegs auf mich

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