Der König der Lügen
zugekommen, als die Zellentüren aufgeschlossen wurden und wir uns zum Frühstück aufstellten.
Doch die Richterin sah mir unverwandt in die Augen, und es war klar, dass sie eine Antwort hören wollte. Ich zuckte die Achseln. »Er wollte meinen Orangensaft, Euer Ehren.«
Sie richtete ihren Adlerblick auf den Staatsanwalt. »Sie haben mir zugesichert, dass dieser Mann von den anderen Insassen ferngehalten wird«, sagte sie. Ich sah ihren durchdringenden Blick und begriff: Sie hatte den Haftbefehl unterschrieben. Sie fühlte sich verantwortlich.
»Darum habe ich mich bemüht, Euer Ehren. Die Ereignisse innerhalb des Gefängnisses liegen außerhalb meines Einflusses.«
Wieder sah sie mir in die Augen. Ihr Blick wanderte über mein Gesicht, und ich sah darin eine tiefe Traurigkeit.
»Also gut«, sagte sie. »Das genügt.«
Wir kehrten an unsere Plätze zurück, und die Verhandlung wurde fortgesetzt. Die Richterin eröffnete mir, dass ich des Mordes beschuldigt sei und dass ich das Recht auf einen Anwalt habe.
»Möchten Sie sich durch einen Anwalt vertreten lassen, Mr. Pickens?«
»Nein, Euer Ehren.« Ein Rumoren lief durch die Reihen der Anwälte hinter mir, und mir ging ein Licht auf. Sie wollten diesen Fall haben, jeder Einzelne von ihnen. Es war ein publicityträchtiger Fall, von dem die Presse voll sein würde. Fernsehinterviews, Zeitungen, Radio — selbst eine Niederlage würde dem Anwalt, der mich vertrat, großes Ansehen bringen. Ein Sieg, und mein Verteidiger könnte sogar Ezras Nachfolge antreten. »Ich möchte mich selbst vertreten«, sagte ich. Das Letzte, was ich wollte, war, dass ein anderer nach einer Wahrheit stocherte, die besser nicht ans Licht kam.
»Unterschreiben Sie die Verzichtserklärung«, wies sie mich an. Ein Gerichtsdiener reichte mir das Formular, mit dem ich auf mein Recht auf einen vom Gericht bestellten Verteidiger verzichtete. Das war eine bloße Formalität. Nur Bedürftige konnten einen Pflichtverteidiger in Anspruch nehmen. Ich unterschrieb das Formular, und der Gerichtsdiener reichte es zurück.
Jetzt kamen wir zum entscheidenden Punkt. Normalerweise wäre das erste Erscheinen des Beschuldigten vor Gericht damit beendet gewesen. In einer späteren Verhandlung würde festgestellt werden, ob ein hinreichender Tatverdacht vorlag, und dabei hätte die Staatsanwaltschaft die Aufgabe, einen Richter davon zu überzeugen, dass der Beschuldigte hinreichend verdächtig war, um vor einem höheren Gericht unter Anklage gestellt zu werden. Nach dieser Verhandlung konnte der Beschuldigte einen Kautionsantrag stellen, aber das alles kostete eine Menge Zeit. Das war ein entscheidendes Problem, und ich wusste, es gab nur eine Möglichkeit, es zu umgehen.
»Euer Ehren«, sagte ich, »ich beantrage ein Eilverfahren zur Freilassung gegen Kaution.«
Douglas sprang auf. »Einspruch, Euer Ehren. Ich erhebe entschiedensten Einspruch.«
»Setzen Sie sich«, sagte die Richterin. Ihr faltiges Gesicht war sichtlich gereizt. »Natürlich erheben Sie Einspruch.« Sie sah mich an, verschränkte die Finger ineinander und verlieh ihren Worten Nachdruck. »Das ist allerdings sehr ungewöhnlich, Mr. Pickens. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Es gibt Verfahrensvorschriften, die einzuhalten sind. Schritte. Die Vorverhandlung zur Feststellung des Tatverdachts muss stattfinden. Ihr Fall wird an eine höhere Instanz überstellt werden müssen.« Sie schwieg, als wäre ihr diese Belehrung selbst peinlich. Offenbar war sie verwirrt.
»Ich verzichte auf die Vorverhandlung«, sagte ich, und meine Worte lösten einen Sturm der Verwunderung unter den Anwälten hinter mir aus. Die Richterin lehnte sich zurück, ebenso überrascht wie alle andern. Kein Verteidiger verzichtet jemals auf die Vorverhandlung. In der Vorverhandlung muss die Staatsanwaltschaft ihr Beweismaterial vorlegen. Nicht unbedingt komplett, aber doch in groben Zügen. Das ist eine perfekte Gelegenheit, es auf seine Stärken und Schwächen zu überprüfen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit, dass der Richter keinen hinreichenden Tatverdacht feststellt und keine Anklage zulässt. Das wusste ich natürlich, aber ich wusste auch noch etwas anderes: Douglas würde dagegen Einspruch erheben, dass die Vorverhandlung von einem ortsansässigen Richter geführt wurde. Er würde einen Befangenheitsantrag stellen. Die Richterin würde zurücktreten müssen. Ein neuer Richter würde bestellt werden, jemand aus einem anderen County. Und das würde Zeit in
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