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Der König der Lügen

Der König der Lügen

Titel: Der König der Lügen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Hart
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Spekulationen im Anwaltszimmer zum Trotz war sie nicht lesbisch. Sie konnte nur Anwälte nicht ausstehen, und dagegen hatte ich nichts einzuwenden.
    »Sie müssen dem Staatsanwalt in den Arsch gekrochen sein, um das zu schaffen, Work. Es ist mir schleierhaft, wieso ich mich überhaupt darauf eingelassen habe.« Mills war nur ungefähr eins fünfundsechzig gross, wirkte aber größer. Was ihr an körperlicher Kraft fehlte, machte sie durch Cleverness wett. Ich hatte mehr als einmal erlebt, wie sie einen meiner Kollegen zerfetzte, der die Anmaßung besessen hatte, sich im Kreuzverhör mit ihr anzulegen.
    »Ich habe ihm versprochen, nicht von Ihrer Seite zu weichen, und das werde ich auch nicht tun. Ich muss es nur sehen. Das ist alles.«
    Sie musterte mich im grauen Licht des Nachmittags, und ihre Feindseligkeit versickerte. Der Anblick von zunehmender Milde in einem gegen solche Anwandlungen rigoros trainierten Gesicht war irgendwie abstoßend, aber ich war trotzdem froh darüber.
    »Bleiben Sie hinter mir, und fassen Sie nichts an. Das meine ich ernst, Work. Nicht die kleinste Kleinigkeit.«
    Mit zielstrebigem Schritt marschierte sie über den rissigen, von Unkraut bewachsenen Parkplatz davon, und im ersten Augenblick konnte ich ihr nicht folgen. Mein Blick wanderte über die Läden und den Parkplatz zum Bach. Ein schmutziger Bach, verstopft von Müll und rotem Lehm; er floss in einen Betontunnel, der unter dem Parkplatz hindurchführte. Ich konnte mich noch an den Gestank erinnern, an den Chemikaliengeruch von Benzin und Schlamm. Einen Moment lang vergaß ich, warum ich hier war.
    Es könnte gestern passiert sein, dachte ich.
    Ich hörte, wie Mills meinen Namen rief, und löste den Blick von diesem dunklen Ort und der Kindheit, die er inzwischen versinnbildlichte. Ich war jetzt fünfunddreißig und aus einem ganz anderen Grund hier. Ich ließ das alles hinter mir, ging zu Mills, und zusammen näherten wir uns dem, was einmal die Towne Mall gewesen war. Selbst in ihren besten Zeiten war sie hässlich gewesen: eine Einkaufsmeile aus Fertigbauteilen, eingeklemmt zwischen dem Interstate Highway und einer Umspannstation, deren Masten und Hochspannungsleitungen den Himmel zerkauten. In den späten sechziger Jahren erbaut, hatte sie jahrelang gegen die drohende Schließung gekämpft. Vor einem Jahr war noch ein Drittel der Läden vermietet gewesen, und der letzte Mieter hatte sich mit dem Winter geflüchtet. Jetzt wimmelte es hier von Bulldozern, Abrissbirnen und Bauarbeitern, und einer von denen, sagte Mills, hatte den Leichnam in einem Lagerraum hinter einem der Ladenlokale gefunden.
    Ich wollte die Einzelheiten wissen, und sie schilderte sie mir in knappen, abgehackten Sätzen, die der warme Frühlingswind nicht abmilderte.
    »Zuerst hat er nur Rippen gesehen, und er dachte, es wären Hundeknochen.« Sie warf mir einen Blick zu. »Keine Knochen für einen Hund, sondern ein Hundeskelett.«
    Ich nickte töricht, als redeten wir nicht über meinen Vater. Zu meiner Rechten bohrte sich ein Presslufthammer in Beton, und in der sanft ansteigenden Landschaft zur Linken lag das Herz der Innenstadt von Salisbury. Die Gebäude dort glänzten, als wären sie aus Gold, und in gewissem Sinn waren sie es auch. Salisbury war eine reiche Stadt mit einer Menge altem und ziemlich viel neuem Geld. Aber an manchen Stellen war die Schönheit so dünn wie eine Schicht Farbe, die kaum die Risse übertünchen konnte. Es gab auch Armut hier, obwohl viele so taten, als gebe es sie nicht.
    Mills hob das gelbe Absperrband hoch und winkte mich durch. Wir betraten das Einkaufszentrum durch ein zerklüftetes Maul aus abgebrochenen Hohlblockzähnen, wo früher eine Doppeltür gewesen war, und gingen an den mit Brettern vernagelten Geschäften vorbei zum letzten in der Reihe. Die Tür unter dem Ladenschild NATURE'S OWN: PETS AND EXOTICA stand offen. Seit Jahren waren hinter den Sperrholzplatten vor den Schaufenstern keine exotischeren Tiere als Ratten mehr gewesen Katten und der verwesende Leichnam meines Vaters Ezra Pickens.
    Der Strom war abgeschaltet, aber die Kriminalpolizei hatte tragbare Scheinwerfer aufgestellt. Ich erkannte den Coroner; sein verkniffenes Gesicht war mir unvergesslich seit der Nacht, in der meine Mutter gestorben war. Er wollte mir nicht in die Augen sehen, und das war nicht verwunderlich. In jener Nacht hatte es viele schwierige Fragen gegeben. Ein paar der übrigen Leute nickten mir höflich zu, aber ich merkte, dass die

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