Der König muß sterben
hatte das Spektakel organisiert. Zwar musste er zunächst den Widerstand von Charles de Valois überwinden, denn der Bruder des Königs hielt nichts von derartigem »Mummenschanz«, um die Zweifler an der Stärke des Königs zu beschwichtigen. Schließlich befahl der König selbst das Fest, und es wurde anberaumt.
De Marigny beobachtete den Verlauf aus sicherer Entfernung. Wenn er zurückblickte, sah er die argwöhnischen Blicke von Charles auf sich ruhen. Er wusste, der Bruder Philipps hätte ihn am liebsten der Ketzerei angeklagt, er verachtete ihn, weil er zusammen mit Nogaret der eigentliche Urheber der Templerverfolgung war. Es war seine infame Idee gewesen, dem Großmeister de Molay noch am Vorabend seiner Verhaftung die Ehre zu erweisen, einer der vier Leichentuchhalter beim Begräbnis der Gemahlin von Charles zu sein. Niemals würde Valois ihm dies Pietätlosigkeit vergessen.
Aber Enguerrand fühlte sich sicher. Er war zu klug, sich eine Blöße zu geben. Das würde auch Valois noch begreifen.
Aus seinen Gedanken riss ihn ein Rechtsgelehrter im Dienst des Königs. »Sire, lassen sie die Tänze ihren Lauf nehmen, wir müssen über diesen Brief beraten.«
»Ich komme, Dubois.«
Philipp saß schon in seinem königlichen Beratungszimmer bereit, wie immer richtete er seinen starren Blick auf seine Umgebung. Als Enguerrand eintrat, nahm er den stellvertretenden Schatzmeister und den königlichen Agenten Renaud de Roye wahr. Und er wunderte sich, dass auch Isabella, die Tochter des Königs, anwesend war. Sie war mit dem englischen König Edward verheiratet und musste just an diesem Tag zu einem Besuch angereist sein, von dem Enguerrand keine Kenntnis erhalten hatte. Was ging da vor?
Der Minister verbeugte sich angemessen. Es ist wohl wahr, dachte er dabei, sie wird mit Recht »Die Schöne« genannt, ein solches Gesicht und ein solcher Körper bringen einfach alles durcheinander, sagt man nicht, sie sei die Geliebte Mortimers?
»Setzt Euch, de Marigny. Und auch Ihr, Pierre Dubois. Ich hatte auch erwartet, dass der Erzbischof von Narbonne uns die Ehre gibt, denn er hat die größte Erfahrung im Umgang mit den Juden und muss als Großsiegelbewahrer des Reiches zu unseren etwaigen Beschlüssen seine Zustimmung geben. Aber der geschätzte Gilles Aycelin ist wohl verhindert. Ihn ersetzt unser iberischer Berater, der Escribano de Raciön, der als konvertierter Jude seine Glaubensgenossen noch besser kennen dürfte. Also fangen wir ohne die anderen an. Nimmt das Fest draußen seinen erwarteten Verlauf?«
»Die Puppen tanzen, Majestät.«
Philipp nickte befriedigt. Ablenkung von der Misere des Staates und von den wirklichen Plänen des Königs war das Gebot der Stunde. Man musste dem Adel und dem reichen Bürgertum der aufkommenden Städte etwas bieten, dann nahm man ihnen die Angst… und das Geld. Er zog das Papier aus der gebundenen Brokattasche, die vor ihm lag.
»Hier ist der Brief. Wir hatten ihn ja schon verlesen lassen. Er ist uns klug zugestellt worden, das muss ich sagen. Wir haben aus dem singenden Boten nichts herausbekommen. Aber er scheint echt zu sein. So lasst uns darüber beraten. Wenn Ihr Euch Wundert, warum meine liebe Tochter anwesend ist – beachtet es nicht weiter. Es hat nur familiäre Gründe.«
Enguerrands Gedanken kreisten um nichts anderes als seinen Einfluss auf Philipp. Er wusste, dass er dabei Renaud de Roye an seiner Seite hatte. Der König setzte auf Krieg und Gewalt, also hatte er ihm die Soldaten beschafft. Und die notwendigen Waffen. Lanzenträger für die unruhige Bretagne, Ritter für die Normandie, Bogenschützen für die Randprovinzen im Süden und Westen, Kriegsfuhrwerke für die rebellischen Bastionen im Osten, Zugvieh und Steinschleudern gegen die in ihren letzten Komtureien versprengten Templer.
Er blickte zum Schatzmeister hinüber. Ein Jude!, dachte er verächtlich, wenn auch konvertiert. Aber er kommt im ganzen Land herum. So gute Kontakte zu Finanziers, bekehrten reichen Juden und der Adelskaste in Iberien und Frankreich besaß sonst niemand. Nur deshalb hielt ihn Philipp. Er wusste, wo die Maravedis, Golddukaten, Florins und Solidi zu borgen waren, und er musste immer neues Geld für die Könige auftreiben.
Enguerrand hatte ihn für ein einziges Dekret wirklich bewundert, dass herumstreifende Banden aufgegriffen werden konnten und ihr Diebesgut für die königliche Schatulle zu konfiszieren war. Mit solchen Erlassen hielt der Escribano de Raciön den König bei
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