Der König muß sterben
wirtschaftliche Verlust, vom geistigen will ich nicht reden, ist ungeheuer. Geld, Kenntnisse, Geschick, alles ist mit der Ausweisung der Juden verloren gegangen. Frankreich ist ein Land des reinen Glaubens, aber auch ein armes Land geworden. Können wir das wollen?«
»Renaud?«
»Ich schließe mich der Meinung meines verehrten Vorredners an!«
»Escribano?«
Der Schatzmeister war sichtlich gequält von bitterer Galle und erhitztem Blut. Er sagte aber nichts mehr, sondern stand nur schwer atmend da.
Der König hob die Hand, um den Streit abzubrechen. Er starrte seine Ratgeber nachdenklich an und sagte dann nach einer kurzen Pause:
»Vermischen wir doch nicht zwei Dinge. Wenn wir, wie uns der anonyme Briefschreiber mitteilt, den Templerschatz zurückbekommen, der unermesslich ist, das habe ich selbst gesehen, dann brauchen wir keine Juden und keine Judensteuer mehr. Bekommen wir ihn aber nicht zurück, dann erst müssen wir in der Tat ernsthaft darüber nachdenken, die Juden ins Land zurückzuholen. Denn was wir ihnen abnahmen, ist längst ausgegeben, und wir können die Fleischhauer, Winzer, Bäcker nicht mit immer höheren Steuern belegen. Aufstände wie im unseligen Jahr 1306 wären die Folge. Wir brauchen neue Reichtümer, und von wem sollen wir diese bekommen, wenn nicht von unseren überaus fleißigen Juden?«
»Wohl wahr, Majestät!« Der Escribano schöpfte Hoffnung.
»Sehen wir also zu«, sagte Enguerrand jetzt, »dass wir dieses Briefschreibers habhaft werden und sein Angebot prüfen. Wenn er es ernst meint, dann sind wir alle Sorgen los und müssen uns über die Juden keine Gedanken machen.«
»Aber wer ist dieser Mann? Wie heißt er, Joshua ben Shimon? Kennt man ihn? Ist er nicht selbst Jude?«
»Ein Schriftgelehrter und vermutlich auch ein Mystiker, Majestät. Er schreibt, er komme aus dem Heiligen Land. Das ist alles, was er angibt.«
»Woher weiß ein solcher Mann etwas über den Schatz der Templer? Und was treibt ihn dazu, ihn uns zu übereignen? Warum behält er ihn nicht selbst?«
»Juden sind eben treue Leute«, erklärte der Schatzmeister. »Sie stellen das Wohlergehen ihrer Brüder und Schwestern über jeden Reichtum. Heißt es nicht in der Bibel: Ihr könnt nicht gleichzeitig Gott und dem Mammon dienen? Der Briefschreiber will für seine Leute ein Auskommen, ein normales Leben in der Heimat. Am Gold der Templer klebt in den Augen eines Juden ohnehin nur Blut. Das Blut seiner hebräischen Brüder und das Blut seiner arabischen Nachbarn, der Sarazenen. Er kann es nicht wollen. Es ist mit einem Fluch beladen.«
»Ist es wirklich so, Escribano?«, fragte Philipp zweifelnd.
»Wir Juden können nicht lügen«, antwortete der Schatzmeister einfach.
»Nun«, sagte Philipp, und ein unangenehmes Lächeln lag auf seinen Lippen, »Ihr werdet es jedoch ertragen müssen, dass dieser Jude, wenn er das Seine getan hat, den Weg aller Verräter geht.«
»Ihr wollt ihn umbringen?«
»Aber Escribano! Was für ein hässliches Wort! Nein, nein. Wir übergeben ihn nur dem Offizium, das seine Seele retten wird. Zu seinem eigenen Vorteil!«
Der Schatzmeister schüttelte sich, als hörte er in diesem Moment eine Kerkertür hinter sich zufallen. Man sah ihm an, dass er darüber nachdachte, wie schnell der König dem die Gunst entziehen konnte, dem er sie gerade noch geschenkt hatte. Jedes halb volle Weinglas ist gleichzeitig halb leer, dachte er.
Und der König sagte: »Lasst uns überlegen, wie wir am geschicktesten vorgehen, um des Briefschreibers und des Tempelschatzes habhaft zu werden! Wir locken ihn in eine Falle!«
7
Mitte November 1314, Marientage
Der Tempel von Paris, der hinter mächtigen Mauern ein größeres Stadtgebiet einnahm als das neue Königsschloss, das zudem noch im schäbigen Umbau war, beherbergte auch die schönste Kirche der Stadt. Seine sieben stolzen Türme auf der anderen Seite der Seine waren einst dafür erbaut, bis an den Himmel zu stoßen. Und das taten sie immer noch, auch wenn jetzt die Besitzer gewechselt hatten.
Auf dem Gelände dieser imposanten Ordensresidenz, die nun den Johannitern gehörte, bewegten sich an diesem Abend mehrere verdächtige Gestalten. Aber da die Vermummten auf dem Weg zur Kirche zu sein schienen, um das neunte Marienfest des Jahres zu feiern, ließen die überall aufgestellten Wachen sie gewähren. Zudem hatte die Kälte an diesem Novemberabend so zugenommen, dass auch die Soldaten vollauf damit beschäftigt waren, sich warm zu
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