Der König von Berlin (German Edition)
Bürgermeister und seinen Senatoren. Mehrfach täglich brüllten sie die Machallik-Brüder am Telefon an, und mittlerweile kamen sie auch schon mal persönlich vorbei, um Dampf abzulassen. Claire Matthes wusste, dass sich die Herren und Damen Senatoren das beim alten Machallik niemals getraut hätten. Vor dem hatten sie Respekt gehabt.
Die Geschichten vom alten Machallik kannte jeder. Mehr als einmal hatte er im Suff geprahlt, die Ratten würden ihn rächen, falls ihm etwas zustoße. Er war ein Unikum gewesen, ein Berliner Original. Laut, leutselig und ausgestattet mit einem durch nichts zu erschütternden Größenwahn. Kurz, er war wie die Stadt selbst.
Anfang der fünfziger Jahre hatte Machallik seine Kammerjägerfirma gegründet. Schnell stieg er zum größten und wichtigsten Schädlingsbekämpfer Berlins auf. Exzellente Kontakte zu Politik und Wirtschaft ließen ihn eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Stadt werden, auch wenn ihn kaum ein normaler Berliner kannte. Die Mächtigen liebten oder fürchteten ihn – oder beides. Jedenfalls begünstigten sie seinen Aufstieg. Es hieß, Erwin Machallik, der Kammerjäger, der Gott der Ratten, der König der wahren Berliner Unterwelt, würde alle, wirklich alle Geheimnisse der Stadt kennen. Womöglich war dieser Umstand auch sein Geschäftsmodell.
Seine Frau hingegen, die zwei Jahre vor dem alten Machallik gestorben war, hatte kurz vor ihrem Tod den beiden Söhnen mitgeteilt, ihr Vater sei weder ein Gott noch ein König, eigentlich nicht mal ein gerissener Geschäftsmann, sondern alles in allem einfach nur ein riesengroßes Arschloch. Dies sei die einzig wirklich sichere Erkenntnis, die sie nach über vierzig Jahren Ehe habe gewinnen können.
Als Julia Jäger den Kuchen in Helmut und Max Machalliks Büro brachte, saßen die beiden schweigend vor dem riesigen Fernseher. Der war noch vom alten Machallik, aber eigentlich war das gesamte Büro noch so, wie es der Firmengründer hinterlassen hatte. Das Chefbüro hatte keinen Schreibtisch. Wenn Erwin Machallik mal was zu unterzeichnen hatte, erledigte er dies am Schreibtisch der Sekretärin. In seinem Büro befanden sich nur ein Couchtisch, zwei Sofas, von denen eines zum Bett umgebaut werden konnte, fünf schwere Sessel, eine absurd große Bar mit Tresen aus rotem Buchenholz und ebendieser riesige Fernseher, der als einziger Einrichtungsgegenstand im Raum nicht aus schwarzem Leder oder holzvertäfelt war und fast irritierend modern wirkte. Das Ganze erinnerte mehr an einen Siebziger-Jahre-Partykeller als an die Chefetage eines führenden Berliner Unternehmens.
Die Brüder starrten auf den Fernsehschirm, obwohl der schwarz war. Wahrscheinlich hatten sie ihn ausgeschaltet oder die DVD gestoppt, als ihre Sekretärin klingelte. Sie musste tatsächlich klingeln. Denn wie jeder ordentliche Größenwahn beinhaltete auch der von Erwin Machallik eine respektable Portion Paranoia: Er hatte sein Büro nicht nur schalldicht und abhörsicher gemacht, sondern die Wände komplett aus verkleidetem Titanstahl anfertigen lassen, samt einer gewaltigen Sicherheitstür, die wie der Zugang zu einem Safe aussah. Es war praktisch ein Panic Room, und das, obwohl schon das gesamte Untergeschoss des großen Bürohauses in der Potsdamer Straße wie ein Luftschutzbunker gebaut und gesichert war. Eine Maßnahme, mit der Erwin Machallik wohl seine Kindheitstraumata aus dem Zweiten Weltkrieg, die Angst vor Luftangriffen und Überfällen, kompensieren wollte.
«Frau Matthes schickt mich mit dem Kuchen.»
Während Helmut Machallik weiter wie gebannt auf den dunklen Bildschirm starrte, lächelte Max der jungen Sekretärin zu. «Vielen Dank, Frau Jäger. Ich sehe, Frau Matthes hat Ihnen auch gesagt, wie Sie den Kuchen anordnen sollen.»
«Ja, das schien ihr sehr wichtig zu sein. Ich wollte ihr nicht widersprechen.»
Max Machallik nahm Frau Jäger das Tablett mit dem Kuchenteller und den beiden Tassen heißer Schokolade ab. «Frau Matthes kennt uns schon, seit wir kleine Jungs waren. Es fällt ihr wohl immer noch schwer, zu akzeptieren, dass wir erwachsen sind, ja nicht einmal mehr so richtig jung. Aber wir hängen an ihr, und sie meint es gut. Tatsächlich freue ich mich jedes Mal, wenn die Kuchenteile wie eine Schnecke angeordnet sind. Und mein Bruder auch.»
Helmut machte ein Geräusch. Ob dieses allerdings eher bestätigender oder ablehnender Natur war, vermochte die junge Sekretärin nicht zu entschlüsseln.
Es war die Idee des Vaters
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