Der König von Berlin (German Edition)
deuten konnte. Er griff sich die Fernbedienung und drückte auf «Play».
Auf dem gigantischen Bildschirm erschien das Gesicht ihres mittlerweile sturzbetrunkenen Vaters. «Und dann …», brüllte er aus dem Fernseher, «… nach genau fünfundfünfzig Tagen, werden die Ratten ihren Angriff auf Berlin starten …», er lachte und würgte ein wenig, «… ganze Heerscharen, und dieser Angriff wird der Beginn eines Krieges sein … Ein Krieg, nach dem die Stadt nie wieder so sein wird, wie wir sie kennen …», eine längere Pause, als müsse er aufstoßen, «… das wird meine Rache …», er fällt aus dem Bild, «… sein!» Beim letzten Wort hört man nur noch ein leichtes Gluckern oder Gurgeln, dann endet die Aufnahme.
«Na ja», Helmut nahm sich wieder ein Stück Kuchen, «einen Hinweis kann ich nicht erkennen, nur eine subtile Warnung vor den Gefahren des Alkohols. Wir können die Dinge drehen und wenden, wie wir wollen, aber wenn’s blöd läuft, haben wir noch ungefähr drei Tage, um uns irgendwas anderes zu überlegen.»
Max schaute ihn erschöpft an. «Und was genau könnte das bitte schön sein?»
Helmut wollte eigentlich die Schultern zucken, aber weil er sich im tiefen Sessel so unglücklich festgesessen hatte, kriegte er seine Arme und Schultern einfach nicht bewegt. Er zog stattdessen kurz die Augenbrauen hoch, was in etwa den gleichen visuellen Effekt hatte. «Keine Ahnung, irgendetwas überlegen eben, oder vielleicht denken wir auch nur mal darüber nach, wie wir uns hier einigermaßen geschmeidig verdünnisieren können.»
G eorg Wolters hatte von diesem Tag die Schnauze voll. Wieder war es fast acht Uhr geworden, bis er endlich in die Yorckstraße nach Hause kam. Natürlich hatte die Zentrale Toni und ihn die Zeit, die sie in der Tempelherrenstraße mit der Hinterhofleiche verplempert hatten, nacharbeiten lassen. Vier Einsätze hatten sie noch fahren müssen. Selbstverständlich alles Notfälle. Seit Wochen gab es praktisch nur noch Notfälle. Dabei überall dieselben angestrengten und genervten Gesichter. Die Rattenplage setzte die Leute gehörig unter Stress, und sie, die völlig überforderte Kavallerie, waren natürlich die Ersten, die das abbekamen.
Als ob das alles nicht schon genug wäre, musste er dann auch noch Carsten Lanner treffen, ausgerechnet Lanner, den größten Schlauberger unter der Sonne. Dem hatte er nun wirklich nicht als Kammerjägergehilfe begegnen wollen. Bloß gut, dass es ihm völlig egal war, was der blöde Lanner über ihn dachte. Immerhin hatte Frau Kreutzer, die hochattraktiv-wütende Mutter aus dem Haus mit der Leiche, tatsächlich eine SMS geschickt und gefragt, ob er morgen Abend Zeit hätte. Das war der einzige Lichtblick dieses verfickten Tages gewesen. Womöglich hatte die aber auch nur geschrieben, weil sie sich bei der derzeitigen Lage von der Bekanntschaft mit einem Kammerjäger Vorteile erhoffte. Doch das war Georg im Grunde egal. Er hatte kein Problem damit, wenn Frauen ihn nur wegen seines Berufs begehrten. Er hätte beispielsweise auch kein Problem gehabt, wenn Frauen nur wegen seines Geldes – das er nicht besaß – mit ihm hätten zusammen sein wollen. Dass es nur wegen des Geldes wäre, wäre dann nicht sein Problem, sondern eben das der Frauen. Er wäre ja wegen der Frauen mit den Frauen zusammen, für ihn wäre also alles gut. Wobei er es grundsätzlich vorgezogen hätte, wegen seines Geldes geliebt zu werden und nicht wegen seines Berufs. Nicht aufgrund der Qualität der Liebe, sondern einfach, weil er lieber irrsinnig viel Geld gehabt hätte, als Kammerjäger zu sein.
Als Georg gerade in seinen Briefkasten guckte, erwischte ihn Frau Adler, die aus dem Innenhof kam. «Na, du bist aber wieder spät dran, Herr Wolters.»
«Ich weiß, Frau Adler, aber Sie machen sich keine Vorstellung, was bei uns zurzeit los ist.»
«Doch, doch, kann ich mir denken. Claire hat mir so einiges erzählt.»
Frau Adler, die Besitzerin des Hauses, in dem Georg wohnte, war mit Claire Matthes befreundet. Dadurch war er an seinen Job gekommen. Denn Frau Adler, die sowohl die ehemalige Apotheke bewohnte als auch die sehr große angeschlossene Wohnung, die sich über zwei Stockwerke bis runter ins ausgebaute Souterrain erstreckte, hatte sich von Anfang an um Georg Wolters, diesen verhuschten jungen Mann, gekümmert.
«Ich bring dir gleich die Sachen, dann kannste direkt anfangen zu kochen.»
Georg stöhnte. Es war Bestandteil seines recht ungewöhnlichen
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