Der König von Berlin (German Edition)
ein sorgsam vorbereitetes Vermächtnis, eher wie ein improvisierter Rundumschlag.
Eine Kopie hatte für die Brüder in einem Bankschließfach gelegen, eine hatte der Regierende Bürgermeister bekommen, und wo sich die dritte Kopie befand, war unklar. Obwohl mittlerweile auch der Innensenator, die Gesundheitssenatorin und der Polizeipräsident die DVD gesehen hatten, war noch nichts bis zur Presse vorgedrungen. Das war in der Tat ungewöhnlich für eine Stadt wie Berlin, wo es normalerweise selbst bei Dingen, die nachweislich überhaupt nie geschehen sind, irgendwo eine undichte Stelle gibt, durch die etwas zur Presse durchsickert. Ja, sogar bei Dingen, die nicht nur nie passiert sind, sondern darüber hinaus auch niemanden interessieren, finden sich immer noch einige, die gern, oft und lange darüber reden. Und dieses Video hätte viele Leute und insbesondere die Presse brennend interessiert.
Allein die ersten zwanzig Minuten, die ausschließlich aus wüsten, ordinären Beschimpfungen so ziemlich aller bekannteren Persönlichkeiten des Berliner Lebens bestanden, unterbrochen nur durch die Enthüllung vieler Affären Machalliks mit den Gattinnen von Politikern, Sportlern, Diplomaten, hochrangigen Beamten und Topmanagern, waren schon spektakulär. Er legte dar, von etlichen Kindern der Führungselite dieser Stadt der Vater zu sein, und entschuldigte sich dann immer wieder wortreich, leider nicht alle seine Affären erwähnen zu können, da er bedauerlicherweise nie Buch geführt und einige Beziehungen einfach vergessen habe, was er jedoch den Frauen gegenüber nicht als Respektlosigkeit verstanden wissen wollte, es sei sein Fehler, wenn er sich nicht erinnere, allein sein Fehler. Mit dem in diesen zwanzig Minuten enthaltenen Material hätten sämtliche Berliner Blätter ein halbes Jahr ihre Titelseiten füllen können. Doch der Höhepunkt, das eigentliche Vermächtnis des Königs der Berliner Unterwelt, kam in der zweiten Hälfte des Videos. Es sollte all die Affären in den Schatten stellen.
«Lass uns trotzdem noch mal das Ende anschauen. Vielleicht haben wir irgendetwas übersehen.» Max schien unverdrossen.
Helmut stopfte sich noch ein Stück Kuchen in den Mund, bevor er antwortete. Eine Angewohnheit, die er von seinem Vater hatte und die Max wirklich an ihm hasste. Begleitet von einem Krümelregen, stieß er seine Sätze aus: «Was, bitte, können wir denn da noch übersehen haben? Der alte Wichser beschreibt genüsslich, wie die Ratten ihn rächen und die Stadt übernehmen, falls ihm etwas zustößt. Schritt für Schritt, mit genauer Angabe der Tage. Ich kann es auswendig.»
«Und bislang sind alle seine Prophezeiungen eingetroffen.»
«Na und? Meinst du echt, der Alte kann aus dem Grab heraus die Ratten dirigieren? Bist du jetzt auch verrückt geworden – so wie der Bürgermeister und sein bekloppter Innensenator?»
«Nein, aber alle machen sich Sorgen, Helmut. Und du solltest dir auch Sorgen machen. Begreifst du das denn nicht? Unser Vater hat in dieser Stadt so etwas wie eine Bombe gelegt. Eine Rattenbombe, die hochgeht, wenn man sie nicht alle ein, zwei oder drei Monate entschärft. Davon hat er all die Jahre gesprochen, deshalb immer sein Gerede, wenn er mal stirbt, werden die Ratten ihn rächen.»
«Ja, ja, ja, ich bin nicht blöd, aber wieso muss ich mir dauernd dieses Scheißvideo angucken?»
«Weil wir dort vielleicht den Hinweis finden, wie wir die Bombe entschärfen können. Wenn uns das nicht gelingt, werden wir diejenigen sein, die man hängt.»
Helmut drehte sich beleidigt weg. Er wusste, dass sein Bruder recht hatte, aber was konnten sie, konnte er denn dafür?
Max versuchte, wieder einen ruhigeren Ton zu finden. «Vater ist seit einundfünfzig Tagen tot. Er sagt in dem Video, die Zahl der Rattenalarme wird sich fünfundzwanzig Tage nach seinem Tod verdoppeln.» Max atmete tief durch. «Sie hat sich vierundzwanzig Tage nach dem Tod verdoppelt. Nach vierunddreißig Tagen sollte sie sich verdreifachen. Das war nach fünfunddreißig Tagen der Fall. Nach vierzig Tagen verfünffachen, was an Tag einundvierzig erreicht wurde, und gestern hat sie sich verzehnfacht, was haargenau seiner Voraussage entsprach. Glaubst du wirklich, das alles ist Zufall?» Zum Ende hin hatte Max seine Stimme doch wieder erhoben und geriet in ein leicht hysterisches Krächzen, was ihm offenkundig unangenehm war.
Helmut dagegen machte erneut ein Geräusch. Diesmal jedoch eins, das man ohne Zweifel als übellaunig
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