Der König von Havanna
Bündel enthielt was davon. Er war drauf und dran, zu den Felsen hinunterzusteigen und es zu untersuchen. Das Paket stieß schon an die Klippen, dümpelte auf den sanften Wellen. Er brauchte nur einen Knoten aufzubinden und nachzusehen, was es enthielt. Aber er reagierte rechtzeitig. Wenn er das tat, würden die Leute angelaufen kommen. So krank, wie er aussah, würde das sofort die Polizei auf den Plan rufen.
»Nein. Soll ihn doch ein anderer finden. Ich habe nichts gesehen«, sagte er sich und ging auf dem Malecón weiter zum Hafen. Auf dem Bürgersteig kamen ihm zwei Polizisten entgegen. Der Gedanke entsetzte ihn, sie könnten gleich daneben das Bündel mit Menschenfleisch entdecken. Grundloses Entsetzen, aber doch Entsetzen. Er überquerte die Straße und ging auf der San Lázaro weiter. Es wurde dunkel. Er kam ins Viertel seiner Kindheit. Von Belascoaín nach Galiano. Auf der Straße, nicht auf dem Bürgersteig, ging ein blutüberströmter Mann mit einer Kopfwunde. Der Typ ging auf der Lealdad zur San Lázaro, bog rechts ab und weiter Richtung Alt-Havanna. Er war ein sehr dünner Weißer mit drei Tätowierungen auf dem Arm: ein Jesus und eine Aufschrift, die besagte: »Mutter Lorensa gibt es nur eine«, und ein tropfendes Messer. Alles sehr schlecht gezeichnet. Er trug nur alte, ausgeblichene Shorts und sehr abgetragene Gummilatschen, hatte dichtes, schwarzes, blutverschmiertes Haar. In der Hand hielt er ein Stück schwarzen Stoff, vielleicht ein Taschentuch, und wischte sich das Blut ab, das ihm über die Stirn in die Augen strömte. Er war betrunken oder zugedröhnt von Marihuana, hatte einen Schock. Er bewegte sich wie ein Zombie, trat hart auf und warf die Füße ungeschickt und schwer nach vorne. Er hatte einen verlorenen, leicht heiteren Gesichtsausdruck. Der ganze Körper war von fast geronnenem Blut verschmiert, bis hin zu den Füßen. Die Leute sahen ihn an. Sie sahen ihn nur an, sagten nichts. Es war eindeutig, dass der Typ große Anstrengungen unternahm, um sich auf den Beinen zu halten, jeden Moment konnte er mitten auf der Straße zusammenbrechen. Hin und wieder verlor er das Gleichgewicht zur einen oder anderen Seite. Aber immer wieder fing er sich und setzte seinen Weg fort. Fortwährend drehte er sich um, als würde ihn jemand verfolgen, und beeilte sich noch mehr. Rasch war er die Straße runter verschwunden. Es war völlig dunkel. Und Rey musste dringend pinkeln. Er ging noch etwas weiter, sah hinüber zu seinem Haus, vielmehr seinem ehemaligen Haus. Mehr Elend wollte er heute nicht sehen. Tatiana blind, Fredesbinda heulend. Nein. Er betrat ein achtstöckiges Gebäude an der Ecke Perseverancia, stieg die Treppe bis zum ersten Absatz hoch und pisste dort. Er kannte das Haus aus seiner Kindheit. Die Leute kamen hierher, um zu scheißen, zu pissen, zu vögeln, Marihuana zu rauchen. Wenn das Treppenhaus reden könnte, käme eine Enzyklopädie zustande. Als man es 1927 erbaut hatte, war es ein luxuriöses Gebäude gewesen, mit einer Treppe aus weißem Marmor und geräumigen Komfortwohnungen. Nur Berufstätige und Amerikaner hatten hier gewohnt. Jetzt, jeden Tag kaputter, war es ein gutes Pissoir. Fast hatte er seinen scharfen Strahl gegen die Wand beendet, da erschien plötzlich Elenita, die Bekloppte. Auch an sie konnte er sich von früher erinnern.
Sie musste ungefähr vier, fünf Jahre älter sein als er. Sie schielte und sprach etwas näselnd, war aber total geil. Sie kam die Treppe hinunter und überraschte ihn beim Pinkeln. Rasch streckte sie den Arm aus, um nach seinem Schwanz zu greifen, während sie ihren Körper an ihn drängte und mit ihrer näselnden Stimme und in ihrer wirren Sprache zu ihm sagte: »Hör mal aghn, aghn, hör mal …«
Rey ließ sie gewähren, denn sie hatte gute Titten, und er spürte, wie sie gegen seine Arme drückten. Das machte ihn an. Auch er verlor keine Zeit. Er schob die Hand in Elenitas weites, frisches Kleid. Oh, was für ein üppiger Busch. Er steckte den Finger hinein. Schön feucht. Er roch an seinem Finger. Wie köstlich. Sie hatte einen zarten, appetitlichen Geruch. Elenita fand ein angespanntes, rasch und brutal sich verhärtendes Tier vor. Und sie ging in die Knie, um es zu lecken. In dem Augenblick kam jemand die ersten Stufen hoch. Der Fahrstuhl war offenbar kaputt. Als Elenita die Schritte hörte, nahm sie ihn beim Arm und eilte die Treppe hinauf, ihre Beute hinter sich herzerrend. Sie stiegen hinauf in den sechsten Stock und betraten ein kleines
Weitere Kostenlose Bücher