Der Koenig von Rom
jungen Söhnen das letzte Blut aussaugte und sie wegwarf, wenn sie genug von ihnen hatte.
Dann war der blutüberströmte Junge vor ihm zu Boden gegangen. Ciro, der Neffe von Pasquale ’o Miracolo, dem legendären Camorraboss.
Jetzt schuldete Pasquale ihm einen Gefallen. Und wenn er wirklich ein Ehrenmann war, wie es hieß, würde er sich über kurz oder lang bei ihm melden.
Libanese würde Unterstützung in der Camorra haben. Ein Vorbild, an dem er sich orientieren konnte. Ein Vorbild, das er nachahmen und dann über Bord werfen konnte, um etwas ganz Neues zu beginnen. Etwas, das es noch nie gegeben hatte und das ihn zum König machen würde.
Aber die Tage vergingen, die blauen Flecken verschwanden, und Libanese darbte dahin, in Erwartung eines Zeichens, das nicht kam.
War also alles umsonst gewesen?
Er war wieder dort, wo er angefangen hatte, doch an dem Abend, als sie ihn in die Zelle zurückverlegten, überbrachte ihm der „Gefängnisbote“, ein Relikt der Bande von Gobbo del Quarticciolo, eine Einladung zum Abendessen.
Das Wunder – Pasquale ’o Miracolo – war eingetreten.
II.
Komm rein, komm rein, mein Sohn … wir haben dich erwartet.
’O Miracolo, der in einem roten Samtsessel saß, schickte mit lässiger Geste einen Wärter weg und forderte Libanese auf näherzutreten.
– Bravo. Du hast das Richtige getan.
– Eigentlich habe ich gar nichts getan.
– Jetzt stell nicht dein Licht unter den Scheffel.
’O Miracolo war um die vierzig, klein, blond und bekam schon eine Glatze. Sein Leben spiegelte sich in seinem hageren Gesicht wider, in seinen wässrigen Augen, in denen immer wieder ein Funke Grausamkeit aufblitzte, in der Narbe quer über seiner Stirn, die von einem Messer herrührte. Er hatte ein schiefes, falsches Lächeln und viele Goldzähne. Er war von Tätowierungen bedeckt, trug einen roten Morgenmantel und türkische Pantoffeln. Seine Zelle war eine Art Suite, wie in einem echten, großen Hotel: Abgesehen von dem Sessel befanden sich in seinem Zimmer noch ein Sofa, ein Bett, auf dem die Flagge des SSC Neapel lag, und ein kleiner Tisch, auf dem ein Tablett mit getrockneten Früchten, einem riesigen Büffelmozzarella und Weinflaschen standen und Reste von Joints herumlagen. Flankiert wurde er von zwei jungen Männern, ungefähr so alt wie Libanese waren, und auf dem Sofa saß der Junge, den er vor dem Messerstecher gerettet hatte. Er betrachtete ihn aufmerksam. Er war blutjung, man hätte ihn leicht für minderjährig halten können.
– Das ist mein Neffe Ciro. Ciro, begrüß Libanese.
Ciro stand mühsam auf und trat auf Libanese zu, um ihm die Hand zu drücken, wobei er das verletzte Bein hinter sich herschleifte.
– Du hast abbekommen, was für mich bestimmt war. Ich schulde dir einen Gefallen.
Libanese drückte ihm ebenfalls die Hand, nickte zustimmend. Er wusste nicht, was er sagen und wie er sich verhalten sollte. Schweigen und ein höfliches Lächeln schienen ihm die beste Strategie zu sein.
– Und das sind Maurizio und Ciccillo. Los, Burschen, grüßt.
Noch mal Händeschütteln, Dankesbekundungen, Lächeln. Libanese stand noch immer wie eine Salzsäule da.
– Willst was trinken? Willst einen Joint? Los, nimm dir, nur keine Umstände! Und setz dich, da, neben mich … Warum bist du im Knast?
– Waffen.
– Eigene?
– Meine und die von anderen. Ich habe sie verwahrt.
– Und wie viel haben sie dir dafür gegeben?
– Ein paar Lire im Monat.
– Hast du dich schuldig bekannt?
– Ich hab alles abgestritten.
– Und was für ein Märchen hast du dem Richter und der Polizei erzählt?
– Die Waffen waren in einem Wohnwagen versteckt, in zwei Taschen. Die Fenster des Wohnwagens waren kaputt. Jeder, der mir hätte schaden wollen, hätte sie dort deponieren können.
– Und das haben sie geschluckt?
– Ich bin nicht verurteilt worden.
– Sehr gut. Ein kaputtes Fenster … kann funktionieren …
Nach zwei Whiskys fühlte sich Libanese nicht mehr so wohl. Pasquale versuchte zu erklären, warum Ciro angegriffen worden war. In Neapel ginge es nämlich ein wenig drunter und drüber, beziehungsweise, um die Wahrheit zu sagen, sei dort die Hölle los. Sein direkter Vorgesetzter, der oberste Boss der Neuen Camorra, Raffaele Cutolo, ’o Professore genannt, befand sich mit einigen Vertretern der alten Familien im Clinch.
– Leute, die nicht wissen, was sich gehört!
Mit einem Wort, es herrschte Krieg. Totaler Krieg auf den Straßen und in den Gefängnissen. Es
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