Der König von Sibirien (German Edition)
wunderte sich immer wieder, was ein Spiegel hier wohl für eine Funktion haben könne. Der Gedanke, dass eine oder mehrere Personen dahinter sitzen konnten, um den Verlauf des Gesprächs zu beobachten, kam ihm nicht.
»Wollen Sie mit mir zusammenarbeiten?«
Alexander nickte. »Jawohl, Genosse Staatsanwalt. Was Muss ich tun?«
»Sich schuldig bekennen.« »Aber ich bin ...«
»Wenn nicht, dann gibt es fünf Jahre mehr.« »Fünf Jahre mehr?«
Staatsanwalt Netschajew wackelte mit dem Kopf. Alexander befürchtete, er könne jeden Augenblick von dem mageren Hals, an dem die Adern wie Kabel hervortraten und der Kehlkopf bei jedem Schlucken auf-und abwippte, herunterkippen.
»Ich lasse die Anklage wegen Spionage fallen.«
Zaghaft fragte Alexander, ob er denn nicht Anspruch auf einen Rechtsanwalt habe. Wenn er sich richtig erinnere, dann sei ihm dies durch die Verfassung garantiert.
Netschajew setze ein betrübtes Gesicht auf. »Das sieht der Richter gar nicht gern, kommt sich übertölpelt vor. Was brauchen Sie einen Rechtsanwalt? Wenn Sie sich schuldig bekennen und kooperativ zeigen, dann werde ich den Richter davon überzeugen, nur zwei Jahre zu geben.«
»Für was schuldig bekennen?«
Der Staatsanwalt blätterte in seinen Unterlagen, als suche er etwas. »Verstoß gegen Devisenbestimmungen und Widerstand gegen die Staatsgewalt.«
»Und wenn nicht:«
Netschajew war ihm einen gnadenlosen Blick zu und rückte seine Brille zurecht, ein richtiges Ungetüm, das mit den dicken Bügeln und den dicken Glasern viel zu schwer für den dürren Hals zu sein schien.
»Dann gibt es keine Gnade. Denken Sie an Ihre Familie, an Ihre Mutter. Sie ist alleinstehend, sie wird es wohl ausbaden müssen. Nicht schön für eine Mutter, einen Verbrecher zum Sohn zu haben. Nachbarn können sehr brutal sein.«
Die Drohung wirkte. Und da Alexanders Lebenswillen zunehmend zusammenschrumpfte, zu schwach, um Widerstand zu leisten, war er bereit, dein Handel zuzustimmen. Allerdings bat er sich Bedenkzeit aus bis zum nächsten Tag.
Das passte dem Staatsanwalt, der schon alle Formulare zur Unterschrift vorbereitet hatte, ganz und gar nicht. »Was soll ich mit dem bockigen Kerl machen?« sprach er in Richtung Spiegel.
Alexander wunderte sich. Erwartete er etwa eine Antwort? Konnten Spiegel reden?
Lind die Antwort kam tatsächlich aus einem kleinen Kasten an der Decke, den er erst jetzt registrierte.
»Geben Sie ihm einen Tag, Genosse Staatsanwalt«, hörte er die krächzende Stimme eines Unbekannten. »Wir haben Zeit.«
In der Nacht weckten sie Alexander jede Stunde. Wenn das Licht anging und die Tür aufschwang, kippte ihm ein Mann einen Eimer eiskaltes Wasser über Kopf und Körper. Sofort wurde die Tür wieder verrammelt. Alexander erschrak Jedes Mal. Und dann die Kälte. Alles in seiner Zelle war nass. Zwar lief das überschüssige Wasser in das Toilettenloch im Boden, aber Decke, Bett und seine Kleidung waren nass. Nach der zweiten Prozedur begann ihn zu frösteln, nach der dritten klapperten seine Zähne aufeinander. Am Morgen hatte er Fieber, zitterte am ganzen Körper und fror fürchterlich. Alexander spürte keine Kraft mehr in den Beinen, als sie ihn die Treppe hoch in ein anderes Stockwerk trieben. Mehrmals knickte er ein und schlug hart gegen die Stufen.
»Na, Gautulin, haben Sie es sich überlegt?«
»Ich bin krank, ich brauche einen Arzt.«
»Hier, unterschreiben Sie Ihr Geständnis.«
»Ich bin krank. Bitte einen Arzt.«
Der Staatsanwalt, heute roch er nicht nach Knoblauch und Zwiebeln, sondern nur nach Wodka, hatte Mühe, die Worte zu verstehen. »Hier, hinter dem Kreuz Ihre Unterschrift.«
»Bitte einen ...«
»Erst wenn Sie unterschrieben haben.«
Und Alexander unterschrieb. Er wusste nicht, was, aber er unterschrieb.
Anschließend brachte man ihn in die Krankenstation. Dort wurde er wieder
hochgepäppelt, denn bereits in der kommenden Woche sollte sein Prozess sein. Nach zwei Tagen fühlte er sich besser. Zum ersten Mal, seit er in der Lubjanka saß, bekam er ein Stück Fleisch zu essen. Es war so zäh, dass er es nicht kleinbekommen konnte, deshalb lutschte er lange darauf herum. Allein das war eine Wohltat.
»Haben sie dich auch mit Wasser fertiggemacht?« fragte sein Bettnachbar.
»Ja.«
»Wie bei mir. Zwei Nächte konnte ich es aushalten, dann wurde ich ohnmächtig.«
»Was hast du ausgefressen?«
»Mich am sozialistischen Eigentum vergriffen.«
»Überfall?«
Der Bettnachbar lachte, aber es klang
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