Der König von Sibirien (German Edition)
so. Ja, ich erinnere mich. Ingo Jannings.«
Der Jüngere sah in einem Notizbuch nach und nickte. Ein Jannings war dort vermerkt. Allerdings ohne Sternchen, also unbedeutend.
»Es wäre Ihre Pflicht gewesen, sie auszuhorchen. Als aufrichtiger Sowjetbürger wäre es Ihre Pflicht gewesen, Ihrem Land zu dienen.«
Übergangslos kamen die beiden Männer auf das Tonband zu sprechen, auf dem ja alles deutlich zu hören sei. Es habe ihm wohl Spaß gemacht, mit der Deutschen zu schlafen. Mal was anderes.
»Und, wie war sie im Bett?« Der Untersetzte rieb sich zwischen den Beinen und grinste anzüglich.
Alexander schwieg.
»Wenn man so erregt ist, dann sagt man schon vertrauliche Dinge«, versuchten sie es auf einem Umweg. »Gab es eine bestimmte Taktik der Deutschen?«
»Ist mir nicht bekannt.«
»Wollten sie einen günstigeren Vertrag aushandeln?« Alexander sah sie bedauernd an.
Der Ältere baute sich vor ihm auf, die Hände in die Seite gestemmt. Der Umfang seines Brustkastens war beeindruckend. »Oder wollten sie die Sowjetunion schädigen?«
Noch einige Male musste Alexander die Prozedur mit den beiden düsteren Gesichtern über sich ergehen lassen. Immer wieder stellten sie die gleichen Fragen, immer wieder das unerträgliche Geschrei des Jüngeren, dazu die schmerzhaften Schläge ins Gesicht und auf den Körper. Nicht zu vergessen die Lampe, die manchmal so dicht vor seinen Augen pendelte, dass er ihre Wärme spüren konnte.
Dann blieb es einige läge still. Und in dieser Zeit verkroch sich Alexander tiefer und tiefer in eine Gedankenwelt, die ihn von der Gegenwart ablenken sollte. Hellen war ständig bei ihm. Jede Einzelheit versuchte er sich zurückzurufen, ihre langen Haare, die gerade Nase, dann der spöttische Blick, wenn sie ihn in Situationen brachte, in denen er sich hilflos vorkam - wie bei dem ersten richtigen Kuss auf einem Spaziergang an der Moskwa. Alexander glaubte sogar in der Enge der Zeile las Feuer zu spüren, das von ihrem Körper auf seinen übergesprungen war. Eine Erregung, wie er sie bisher nicht gekannt hatte. Noch am gleichen Abend hatte sie ihn mit auf ihr Zimmer genommen. Er trug den Mantel einer ihrer Kollegen, damit man ihn für einen Westler hielt. Aber Alexanders schüchterne Unbeholfen hei t erregte die Aufmerksamkeit der dicken Frau, die mitten im vierten Stock des Hotels National im Flur thronte und deren Aufgabe es war, die Schlüssel zu verteilen und den Samowar zu bedienen.
Erst als sie sich, deutsch parlierend, vor ihr aufbauten, wich die Skepsis. Allerdings wusste die Aufpasserin genau, Hellen hatte ein Einzelzimmer, und wollte daher verhindern, dass Alexander mit hineinging. Erst als 1 Ellen sich an der Rezeption beschwerte, sie dürfe doch wohl noch Besuch von einem Kollegen empfangen, zog sich die Dicke schmollend zurück.
Und dann die Nacht. Alexander fühlte sich unbeholfen und befangen. Wollte er etwas sagen, musste er erst einen Kloß im Hals überwinden. Zugleich verblüffte ihn die Lockerheit, mit der Hellen ihn auszog und zum Bett dirigierte. Also doch eine westliche Katharina?
Anschließend überraschte sie seine Gier und seine Heißblütigkeit, und sie stachelten sich gegenseitig an. Sie überhörten die Proteste aus den Nachbarzimmern, die zuerst auf deutsch und, als sie damit keinen Erfolg hatten, auf englisch um Ruhe baten. Genauso war es auf dem Tonband zu hören gewesen.
Später tranken sie Whisky, Alexander in kleinen Schlucken, weil er nüchtern bleiben wollte. Sie sprachen lange miteinander, jeder erzählte von der Welt, in der er lebte. Aber sosehr sie sich auch bemühten, sie entdeckten darin keine Gemeinsamkeiten.
Alexander sah Selmikow nie wieder. Dafür aber saß er am nächsten Tag einem kleinen, mageren Männlein mit viel zu großen gelben Zähnen gegenüber. Das strähnige, fettige Haar war streng nach hinten gekämmt, als versuchte er, seine welke Gesichtshaut zu straffen. »Staatsanwalt Netschajew.«
Der schlampig gekleidete Beamte mit den typischen braunen Flecken eines Kettenrauchers zwischen Zeige-und Mittelfinger hatte zu allem Überfluss auch noch Mundgeruch: Zwiebeln, vermischt mit Knoblauch und Wodka, eine Mischung, die auf Distanz hielt.
»Ich werde es human machen«, versprach der Staatsanwalt, als sie allein in dem kahlen Raum waren. In der Mitte ein Tisch, an jeder Längsseite zwei Stühle, vor der Wand ein klobiger Heizkörper mit armdicken Rippen, darüber das obligatorische Leninbild und daneben ein Spiegel. Alexander
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