Der König von Sibirien (German Edition)
überhaupt nicht fröhlich. »Viel schlimmen Kennst du Troize-Lykowo?« Alexander verneinte.
»Liegt: zwischen Stoigno und dem Erholungsgebiet Serebrjanai Bor, dem Silberwäldehen. Ungefähr hundert schäbige Holzhäuser und ein kleines Lebensmittelgeschäft um einen riesigen Park, in dessen Mitte die alles überragende Dreifaltigkeitskirche steht. Scharf getrennt von der übrigen Bevölkerung wohnen abseits des Dorfes die hohen Tiere aus der Politik hinter unüberwindbaren Schutzzäunen.« Der Bettnachbar fand in Alexander endlich mal einen höflichen und aufmerksamen Zuhörer. Detailliert führte er deshalb aus, wer alles in diesem, durch Birken und Kiefern abgeschirmten Terrain zwischen der Lykowo-Straße und der Moskwa, residierte.
»Ich bin also in eine Datscha gegangen. Das Tor im grünen Holzzaun stand sperrangelweit offen, die Fassade hatte man gerade rostrot gestrichen, Pflaumenbäume blühten, Hunde, wohlgenährte, fette, träge Hunde, die längst das Bellen verlernt hatten, dösten in der Mittagssonne. Ich habe angeklopft. Obwohl die Eingangstür nur angelehnt war, schien aber niemand anwesend zu sein. Da habe ich mir etwas zu essen gesucht, tolle Sachen haben die dort in ihren Kühlschränken, und bin wieder verschwunden.«
»Wegen so einer Bagatelle ...«
»Was heißt hier Bagatelle. Die Datscha gehört dem Sekretär eines Ministers. Der Gute Tag nebenan betrunken im Bett, und zwar mit seinem schwulen betrunkenen Freund, ohne dass ich es gemerkt habe. Erst die Wachen, die ständig in dieser Prominentengegend patrouillieren, entdeckten mich keine zwanzig Meter von der Datscha entfernt.«
»Nur weil du dir was zu essen genommen hast, bist du hier?«
Der Bettnachbar lachte erneut. »Außerdem habe ich mir einen antiken Schrank unter den Arm geklemmt, zwei Sessel, ein Gemälde, vier Mäntel, eine Jacke, Schmuck, Silbergeschirr und zwanzig Flaschen Wodka. In der anderen Hand trug ich ein Bett, einen Kühlschrank, einen Flügel und ein Auto. Und dann ergriff ich auch noch die Flucht, als man mich stellen wollte.«
Alexander dachte, der Mann mache einen Scherz auf seine Kosten.
»Aber das geht doch überhaupt nicht.«
»Natürlich geht das. Ich habe es doch unterschrieben.«
»Und wie viel geben sie dir dafür?«
»Och, nicht der Rede wert. Zehn Jahre, schätze ich.«
Der Prozess. Alexander war darauf vorbereitet, in ein Auto verfrachtet und in einen großen Gerichtssaal geführt zu werden mit vielen Zuschauern, Fotografen und mehreren Richtern auf einem erhöhten Podest. So machten sie es immer, wenn sie einen westlichen Spion anklagten. Die »Prawda« lügt doch nicht.
Zwei bis drei Tage, schätzte Alexander, würde sein Verfahren dauern. Sicherlich müssten Zeugen gehört werden, zum Beispiel die Bediensteten aus dem Hotel und die beiden Beamten, die ihn verhaftet hatten. Vielleicht war sogar das staatliche Fernsehen zugegen. Er hatte gehört, dass man oft Bilder von solchen Verhandlungen zeigte, wegen der abschreckenden Wirkung und, um den Westen als Aggressor bloßzustellen.
Aber Alexanders Prozess fand nicht in einem großen Gerichtssaal statt, noch nicht einmal außerhalb des Gefängnisses. Man brachte ihn den schon gewohnten Weg hoch bis ins Erdgeschoß und dann in einen Bereich des Gebäudes, den er noch nicht kannte. Ein Arzt untersuchte Alexander, maß den Puls, schaute ihm in die Augen und zog dann eine Spritze auf. Ohne ihn zu fragen, band er einen Arm ab und reinigte die Einstichstelle mit Alkohol.
»Was geben Sie mir?«
»Etwas zum Beruhigen.«
»Ich brauche nichts. Ich bin ruhig.«
Alexander sträubte sich, als der Arzt ihm die Injektion verabreichen wollte. Der rief die beiden Wachmänner, die draußen vor der Tür standen. Wie Schraubstöcke legten sich ihre Arme um Alexander, brutal stieß der Arzt die Nadel in die Vene. Wärme breitete sich in seinem Körper aus, und er wurde wirklich ruhig. Sehr ruhig sogar, so dass es ihm schwer fiel, sich vom Stuhl zu erheben.
Plötzlich stand er ihr gegenüber, sie hatte Tränen in den Augen. Weinend warf sie sich ihm an die Brust.
»Alexander, mein Junge, was hast du nur getan.«
Er würgte. Zu überraschend kam die Begegnung mit seiner Mutter, und ihre Stimme drang wie aus einer großen Entfernung zu ihm durch.
»Glaube mir, ich bin unschuldig.«
Sie sah ihn gütig und verstehend an, streichelte sein Gesicht. »Aber vor mir brauchst du doch nicht zu lügen. Ich weiß alles.«
»Was weißt du?« Seine Zunge kam ihm unbeholfen
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