Der Königsberg-Plan: Thriller (German Edition)
Benjamin schaute nur nachdenklich auf die Tastatur und schwieg.
Sie drückte den roten Knopf, und das Display leuchtete auf. Benjamin hatte die Stirn in tiefe Falten gelegt, und ihr schwand der Mut. Auf dem Display erschienen acht Leerstellen in blauer Farbe.
„Es könnte ein Datum sein“, bemerkte er in Gedanken versunken.
Ein Datum, ging es ihr durch den Kopf. Thalbergs Geburtstag? Quatsch! Marias Geburtstag?
„Das Datum des Bernsteinzimmers“, sagte er bestimmt.
Ohne noch eine Sekunde länger zu warten, zu denken, zu zweifeln, wählte sie die erste Zahl. Benjamin stand wie angewurzelt neben ihr und atmete angespannt ein. Sie machte weiter. Nach jedem Tastendruck erschien ein blaufarbenes Kreuz auf dem Display. Ihr brach der Schweiß aus, aber sie drückte entschlossen weiter auf die Tasten.
Als das siebte Kreuz auf dem Display angezeigt wurde, griff sie nach Benjamins Hand. Fest umschlossen führte sie ihre verbundenen Hände zur Tastatur und drückte mit ihrem kleinen Finger auf die letzte Zahl. Dann bestätigte sie die Eingabe mit der grünen Taste.
Acht Kreuze blinkten und verschwanden, und für einen Augenblick passierte überhaupt nichts.
Sie hörte Schritte hinter sich und drehte sich um. Der Concierge stand im Eingang und schaute fragend zu ihnen herüber.
Dann öffnete sich die Tür mit einem lauten Brummen. Der Concierge nickte ihnen zu und verschwand. Erleichtert trat sie ein und zog Benjamin mit in das Gewölbe.
„Zwei-vier-null-eins-eins-neun-vier-fünf“, flüsterte er. „Der Tag, an dem das Bernsteinzimmer Königsberg verlassen hat.“
Automatisch war das Licht angegangen. Vor ihnen hing ein großer dunkelroter Vorhang, der den Blick auf das Innere vollständig versperrte. Zoé zog ihn ein Stück zur Seite und glitt mit Parker hindurch. Sie standen vor einer Betonwand, in die eine unscheinbare Tür eingelassen war. Hatte sie eben noch das Gefühl gehabt, hinter dem Vorhang eine prachtvolle Entdeckung zu machen, breitete sich jetzt angesichts des fahlen Betons eine gewisse Ernüchterung aus.
Sie drückte die Klinke herunter, und die Tür öffnete sich nach innen. Wieder sprangen mehrere Lampen an und tauchten den Raum in helles, gleißendes Licht. Blinzelnd erkannten sie es.
Das Bernsteinzimmer hatte nichts von seinem unglaublichen Glanz eingebüßt. Die Zeit schien spurlos an dem deutsch-russischen Schatz vorübergegangen zu sein.
Trunken von der Pracht wandelten sie Hand in Hand durch den großen Raum, umgeben von goldgelb glänzenden Bernsteinpaneelen, die sich in den venezianischen Spiegeln zu verhundertfachen schienen.
Zoé schmiegte sich fest an Benjamin. Ihre Lippen suchten die seinen, und sie spürte seine Hände auf ihrer Haut. Langsam sanken sie auf den glatt polierten Boden.
„Hier?“, hauchte sie.
„Wenn das Bernsteinzimmer für die Zarin gut genug war …“, sagte er und ließ den Satz unvollendet.
Epilog
Hotel Adlon – Juli 2006
Am Mittag hatte das Thermometer die Vierzig-Grad-Marke erreicht, und Parker genoss den leichten Windstoß, der durch die weit geöffneten Balkontüren hereinwehte. Draußen beschien die helle Julisonne Zoé, die sich über das Geländer lehnte und ihm den Rücken zuwandte.
Der gebrochene Arm war schon im April wieder vollständig geheilt. Doch als ihre Reportage über die Bernsteinzimmer-Affäre erschienen war, ging das Bild der jungen Journalistin mit dem Arm in der Schlinge um die Welt. Sie hatte in ihrem Artikel alle Fakten der Bernsteinzimmer-Verschwörung aufgedeckt und nichts verschwiegen. Noch am gleichen Tag hatte sich Thalbergs Tochter bei den Medien gemeldet und Zoés Story bestätigt, soweit sie das konnte. Die Verbrecher hatten sie nach dem Scheitern der Operation einfach laufenlassen, und sie war mit einem Schock davongekommen.
Die Reaktion der Bundeskanzlerin war erwartungsgemäß höchst professionell ausgefallen. Kurz nach der Veröffentlichung hatte in Königsberg eine große Pressekonferenz stattgefunden, in welcher die Kanzlerin gemeinsam mit dem russischen Präsidenten feierlich die Rückführung des Bernsteinzimmers nach Königsberg und die Errichtung eines hundert Millionen Euro teuren Museums für das deutsch-russische Kleinod bekanntgegeben hatte. Das Geld war eine Spende der Bundesrepublik, und noch im Frühling sollte ein internationaler Architektenwettbewerb gestartet werden. Mit weiteren achthundert Millionen Euro aus Deutschland sollten das alte, im Weltkrieg zerstörte Königsberger Schloss und die
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