Der Königsschlüssel - Roman
doch das Schaben hielt an. Sie hörten, wie irgendetwas in der Dunkelheit schnüffelte. Laut wie das Schnauben eines Pferdes, aber weniger freundlich, kurz und abgehackt. Und dazwischen meinte Cephei, immer wieder ein Schmatzen zu hören. Beruhigend legte er Vela die Hand auf den Arm. Er spürte, wie sie zitterte.
Ein Fauchen drang zu ihnen herein, dann setzte sich das Schaben wieder in Bewegung. Es kam direkt auf sie zu.
»Weiter, weiter«, zischte Cephei und zerrte die Abdeckung von ihrer Lampe. Sie mussten etwas sehen, und das Ding hinter ihnen konnte sie sowieso riechen. Er scheuchte Vela durch den Stollen, wählte an jeder Kreuzung die Richtung, und sie folgte seiner Führung ohne Protest. Doch so schnell sie auch liefen, das Schaben blieb ihnen auf den Fersen.
Es ist hier zu Hause, schoss es Cephei durch den Kopf, es kennt sich aus. Es fühlte sich in der Dunkelheit wohl, brauchte nicht einmal Licht.
Über ihr Keuchen und ihre Schritte hinweg hörten sie kaum etwas, aber das Schaben war immer irgendwie da. Und manchmal vernahm Cephei dazwischen das schwere Tapsen von nackten Füßen oder Pfoten. Von großen Pfoten.
Zweimal drehte er sich kurz um, doch er konnte ihren Verfolger nicht erkennen. War es der Stachelscharrer, vor dem sie gewarnt worden waren? Er ist immer auf der Suche nach Nahrung , hatten sie gesagt, und Cephei griff seinen Dolch fester.
Uns wird er nicht fressen, dachte er grimmig.
Und dann war der Gang plötzlich zu Ende.
»Sackgasse!«, schrie Vela. Irgendwer hatte hier den Weg zugemauert. In der Mitte der Wand befand sich ein kleines, vergittertes Fenster.
»Schlag mit deinem Hammer das Gitter raus, ich halte ihn auf!« Cephei setzte die Lampe an der Mauer ab, wirbelte herum und begab sich in Kampfstellung, wie Urs es ihm gezeigt hatte. Wie schön wäre es, wenn Urs jetzt bei ihnen wäre. Als er die ersten Hammerschläge von Vela hörte, sah er einen Schemen am Rand des Lichtscheins auftauchen. Ein Schemen, der den ganzen Gang ausfüllte.
»Beeil dich, Vela!«
Die Schläge in seinem Rücken wurden hektischer, und das Wesen kam langsam in den Lichtschein gekrochen.
Cephei sah sofort, warum es Stachelscharrer genannt wurde. Unzählige lange Stacheln standen von seinem Rücken ab und kratzten über die Decke und Wände des Stollens. Sie lösten dabei feinen Staub aus der Decke, so dass das ganze Wesen mit einer grauen Schicht bedeckt war, auch die kleinen, dunklen Augen, die blind zu sein schienen. Der Stachelscharrer war so lang wie ein Pferd, doch viel, viel breiter. Seine Vorderfüße waren riesige schaufelartige Klauen mit dicken, fingerlangen Krallen. Die Zähne in der langgezogenen Schnauze waren kaum kürzer. Schnüffelnd kroch er näher.
Cephei ging ihm einen Schritt entgegen, um Vela mehr Platz zu verschaffen. »Verzieh dich!«, rief er dem Stachelscharrer entgegen. Dieser fauchte nur, kroch aber weiter heran.
Cephei war viel kleiner, aber das war hier ein Vorteil. Der Stachelscharrer war zu groß, um mit seinen Klauen wirklich ausholen zu können. Hinter ihm fiel ein Stein zu Boden, Vela kam also voran. Das machte ihm Mut, und er ging noch einen Schritt weiter. Der Stachelscharrer fauchte wieder und zeigte seine scharfen Zähne. Cephei knurrte zurück und fuchtelte mit seinem Dolch herum, der im Licht der Lampe aufblitzte.
Dann war der Stachelscharrer heran. Seine Klaue schoss vor und schlug nach Cephei. Geschickt tauchte er unter dem Schlag weg und hieb mit dem Dolch nach oben. Er verfehlte die Klaue um Haaresbreite.
Wieder schlug der Stachelscharrer zu, wieder konnte Cephei ausweichen. Blitzschnell setzte er einen Ausfallschritt und erwischte seinen Gegner mit dem Dolch. Doch er ritzte ihn nur, die Haut des Stachelscharrers war ledrig und hart. Auch wenn er kurz zurückzuckte, war er nicht schwer getroffen. Cephei würde ihn so nicht besiegen können.
»Vela!«, schrie er, dann sauste schon wieder eine riesige Klaue auf ihn zu. Ein Treffer, und er würde gegen die Wand geschleudert werden. Wieder fiel ein Stein zu Boden, wieder griff der
Stachelscharrer an. Cephei wich zurück und stieß dann sofort erneut vor, er durfte keinen Raum verlieren. Hinter ihm schepperte ein Gitter zu Boden, und Vela jubelte.
»Nimm meinen Rucksack und die Lampe, und dann durch«, rief er ihr zu und sprang zur Seite. Zu spät, er hätte nicht reden dürfen. Die Klaue streifte ihn am Arm, und er taumelte gegen die Wand. Sofort ließ er sich zu Boden fallen und machte eine Rolle
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