Der Königsschlüssel - Roman
rückwärts. Die rechte Klaue schlug mit aller Wucht auf den Boden, wo er eben noch gelegen hatte. Er schnellte wieder nach oben. Es wurde dunkler.
»Bin durch«, hörte er Vela rufen. Dann knallte ein rausgebrochener Mauerstein gegen den Stachelscharrer.
Das war seine Chance. Er rannte die vier, fünf Schritte auf die Mauer zu. Zum Klettern blieb ihm keine Zeit, also sprang er. Er riss die Arme nach vorn und tauchte im Hechtsprung durch das Fenster. Mit den Knien schabte er über die untere Fensterkante, seine Beine zuckten, und die rechte Ferse schlug oben gegen Stein. Hinter der Wand schlug er hart auf und rollte sich ab, so gut es ging. Trotzdem entfuhr ihm ein unterdrückter Schmerzensschrei. Der Stachelscharrer knallte mit Wucht gegen die Wand, so dass sie zitterte und Mörtel zu Boden rieselte.
Aber sie hielt.
»Cephei«, rief Vela über ihm, und es klang wie ein »Danke« und ein »Alles in Ordnung?« zugleich.
Er rollte sich auf den Rücken und grinste erschöpft. »Dem haben wir es aber gezeigt, was?«
Sie lachte und weinte und umarmte ihn und half ihm auf die Beine. Und dann sagte sie tatsächlich »Danke« und fragte: »Alles in Ordnung?«
Er nickte. Die Knie waren aufgeschürft, das Loch in der Hose
größer geworden, und an der Ferse würde er einen riesigen blauen Fleck bekommen. Aber er konnte laufen und fühlte sich gut. Er hatte seinen ersten richtigen Kampf erfolgreich bestanden. Nicht schlecht.
Dann setzten sie den Raumgeist wieder zu Boden und folgten ihm durch die Gänge unter dem Berg.
HINAUF
Der Stollen, dem sie eine Weile später folgten, wurde immer schmaler, und irgendwann fielen sie auf die Knie und mussten auf allen vieren weiterkriechen. Cephei hörte Vela hinter sich laut atmen, und auch ihm wurde die Kehle immer enger. Die Luft war stickig und staubig.
Was, wenn sie dem Gang bis in den Berg folgen würden und irgendwann steckenblieben? Keine angenehme Vorstellung. Einzig der Gedanke an den Raumgeist vor ihm ließ ihn weitermachen. Dieser Gang war wie ihre ganze Reise - irgendwann waren sie einfach zu weit gegangen, um umzudrehen, weil keiner wusste, ob der Weg, der vor ihnen lag, nicht kürzer war als der hinter ihnen. Wenigstens konnte hier der Stachelscharrer nicht hinein, selbst wenn er inzwischen die Mauer eingerissen hätte.
Gerade als Vela ihn mit der Hand am Fuß zog - zum Glück am gesunden -, um ihm etwas zu sagen, spürte er einen ganz leichten Luftzug von vorn.
»Halt durch, Vela, wir haben es gleich geschafft.«
Sie antwortete nicht, blieb aber hinter ihm. Eine Weile krochen sie weiter, und tatsächlich wurde die Luft ein wenig frischer. Auch schien der Gang vor ihnen jetzt heller.
Schließlich erreichten sie sein Ende, Cephei steckte vorsichtig den Kopf nach draußen - und blickte in eine steinerne Röhre, die den Fels von oben nach unten durchmaß. Vor seiner Nase baumelte ein dicker Strick, der im dunklen Nichts verschwand, als er den Blick nach unten richtete. Er konnte keinen Boden
ausmachen. Von oben dagegen drang schwacher Lichtschein hinab.
»Ich glaube, wir sind in einem Brunnen gelandet. Wenn das Seil hält, können wir daran nach oben klettern.«
»Und wenn nicht?«
»Plumpse ich ins Wasser. Halt meine Beine fest.«
Er lauschte nach oben, ein unverständliches Stimmengewirr drang zu ihm herab, dumpfe Schritte, die sich dem Brunnen näherten, doch dann an ihm vorbeigingen. Langsam griff Cephei nach dem Seil und zog daran. Sein Gewicht schien es zu tragen. Möglichst lautlos kletterte er Stück für Stück hinaus.
Zuerst ließ er noch die Füße im Gang und hängte sich nur mit seinem Oberkörper an das Seil. Als das hielt, zog er die Beine nach und überließ sich ganz dem Seil. Er hob den Kopf und konnte über sich das Dach eines Brunnenhäuschens erkennen. Es sah nicht aus wie die Brunnendächer in Marinth, es war verziert mit Lilien aus Metall und kleinen Glocken, die leise klingelten, wenn sie vom Wind erfasst wurden.
»Ich klettere hoch und geb dir ein Zeichen. Schaffst du das?«
»Ja.« Vela sah ihm aus dem Loch in der Wand entgegen, das Gesicht schmutzig und gegen den dunklen Hintergrund kaum auszumachen.
Mühsam zog er sich am Seil empor. Das war nicht einfach, die Arme waren müde vom langen Kriechen, und seine Ferse schmerzte. Es erforderte einiges Geschick, das Seil um das gesunde Bein zu wickeln und sich dann wieder daraus zu befreien. Aber nur so gewann er genug Halt, denn allein mit der Kraft seiner Arme konnte er sich nicht
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