Der Königsschlüssel - Roman
schon setzte er sich in Bewegung, um auf die Treppe zuzusteuern, als wäre nie etwas gewesen. Überrascht sahen sie ihm nach. Vela fing sich als Erste wieder. Sie rannte ihm nach. »Majestät, Ihr müsst zuerst meinen Vater begnadigen, damit sie ihn aus dem Kerker lassen. Das muss als Erstes geschehen.« »So?«, fragte der König, blieb stehen und drehte sich auf der
Treppe zu ihr um. Er sah auf sie herunter und fragte: »Warum denn? Wer ist denn dein Vater, Mädchen?«
»Der Königsmechaniker, also … Euer Leibmechaniker. Der Kanzler macht ihn für den Diebstahl des Schlüssels verantwortlich.«
»Aber hast du nicht gesagt, dass es ein Vogel war?«
»Ja, genau. Deshalb müsst Ihr ihn auch begnadigen.«
»Nun gut.« Der König stieg weiter hinauf. »Dann wollen wir das als Erstes tun.«
Oben angekommen, steuerte er auf den Schreibtisch des Kanzlers zu und nahm sich einen Bogen Pergament zur Hand. Er schrieb in seiner großen, verschnörkelten Schrift ein Begnadigungsschreiben und setzte mit dem rechten Zeigefinger sein Siegel darauf, das filigran in die Fingerkuppe geschnitzt war. Dann streute er Sand darüber und pustete alles in Velas und Cepheis Richtung, die vor dem Tisch standen. Der Sand landete auf ihren Kleidern, aber das machte Vela nichts mehr aus. Sie spürte die Freude heranrollen wie eine warme Welle, und es war ihr egal, ob sie schlecht aussah, stank und ihr die Knochen wehtaten. Sie würde ihren Vater befreien!
»Danke, Euer Majestät!«, rief sie und rannte schon zur Tür hinaus. Dort drehte sie sich um und sah Cephei an. »Kommst du nicht mit?«
Er trat zu ihr und stupste sie mit den Fingern an die Schulter, sein Lächeln war breit. »Geh ruhig allein, du weißt doch, dass Jungs nicht so sind mit dieser ganzen Gefühlsduselei. Und du fängst bestimmt an zu heulen, wenn er rauskann.«
Zu einem anderen Zeitpunkt ihrer gemeinsamen Reise hätte sie ihm das übel genommen, aber jetzt lächelte sie und erwiderte nur: »Wenn du meinst.«
»Ich geh mal schauen, was sich so getan hat. Wir sehen uns später, ja? Außerdem muss sich doch jemand um den König kümmern, die Leute werden erst mal ganz schön verwundert sein. Und ich muss doch berichten, was passiert ist.«
Sie nickte, dann hielt sie es nicht länger aus und lief durch die Flure davon. So schnell wie noch nie in ihrem Leben rannte sie zu ihrem Vater.
ABSCHIED
Zuerst war Cephei schnell gegangen, ein Stück sogar gerannt, aber je näher er dem Gasthaus kam, desto langsamer wurde er.
Er war noch eine Weile im Schloss geblieben, schließlich war er nie zuvor dort gewesen. Der König hatte die Räume des Kanzlers irgendwann verlassen, und schon geriet das ganze Schloss in Aufregung. Die Höflinge kamen angerannt, dann der Hofarzt und schließlich die Wachen, um den Tumult zu unterbinden. Der König hatte sich auf den Thron gesetzt, und Cephei musste berichten, was passiert war, aber sie hatten ihn gar nicht zu Ende erzählen lassen, sondern ihn schon vorher unterbrochen und zur Seite gedrängt. Alle redeten auf den König ein, und Cephei war es nach einer Weile zu bunt geworden. Er hatte das Schloss einfach verlassen und beschlossen, später wiederzukommen, wenn sich die Aufregung etwas gelegt hätte.
Er wusste nicht genau, was er eigentlich im Gasthaus wollte. Glaubte er, dass Dorado ihn loben würde, weil er den Schlüssel wieder zurückgebracht hatte? Nun, wahrscheinlich würde der dicke Wirt ihm nicht einmal glauben und behaupten, Cephei schneide auf.
Er hatte keine Ahnung, wie es nun weitergehen sollte, es schien ihm schon schwer, an den nächsten Tag zu denken und sich vorzustellen, dass er wieder Krüge schleppen und den Boden kehren sollte. Nicht,weil es schwere Arbeit war, nur irgendwie … Ach, er wusste es selbst nicht so recht, eine Heimkehr
hatte er sich immer anders vorgestellt. Glanzvoller, mit mehr Jubel. Es hätte ein Triumph sein sollen.
Als er die Klinke herunterdrückte und den Schankraum betrat, klang ihm schon der Lärm entgegen. Einen Moment lang blieb er an den Türrahmen gelehnt stehen, betrachtete den Ort, an dem er den Großteil seines Lebens verbracht hatte, und versuchte, diese neue Fremdheit zu überwinden. Er kannte alles, die Tische, die Stühle, die alte Theke, hinter der die Fässer standen, die wachsbekleckerten Kerzenständer, aber nichts davon kam ihm vertraut vor. Konnte ihn diese eine Reise schon so sehr verändert haben, dass er das Gefühl hatte, nicht mehr hierherzupassen?
Aus der Küche
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