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Der Königsschlüssel - Roman

Der Königsschlüssel - Roman

Titel: Der Königsschlüssel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Koch
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kann etwas sehen.«
    Nach kurzem Hin und Her gab sich Vela geschlagen, und Cephei stieg ohne seinen Rucksack auf die Leiter.
    »Soll ich was singen, damit du uns wenigstens hören kannst, oder pfeifen?«, fragte sie noch, aber Cephei schüttelte den Kopf.
    »Bloß nicht, dann hören uns doch auch alle anderen. Wer hier auch sein mag. Bin gleich wieder da«, sagte er möglichst leichthin.
    Sprosse um Sprosse kletterte er am Turm hinauf. Bald schon konnte er den Boden nicht mehr sehen, nur Düsternis unter und über sich. Noch immer tauchten keine Fenster im Turm auf, seine Fassade wurde jedoch immer dunkler und schmutziger, als hätte die Wolke dort ihre Spuren hinterlassen. Cephei berührte die Wand, sie fühlte sich ähnlich wie die Straße an, die dunklen Flecken schmierig wie nasse Asche.
    Weiter stieg er, immer weiter, und je höher er kam, desto weniger konnte er erkennen. Die Luft kratzte ihn im Hals, und er musste husten. Aber noch wollte er nicht aufgeben, und er griff nach der nächsten Sprosse. Jetzt wäre es ihm doch ganz lieb, wenn er Velas Pfeifen gehört hätte, etwas, das ihm sagte, dass sie noch immer unter ihm waren und auf ihn warteten. Das Atmen fiel ihm immer schwerer, er spürte ein Schwindelgefühl, und seine Augen tränten. Schließlich, als er vor Angst schon umkehren wollte, sah er verschwommen das Ende des Turms über sich.

    Der Turm besaß kein Dach, sondern wirkte wie ein Wachturm ohne Zinnen. Aus seinem Inneren quollen dunkle Wolken wie Rauch aus einem Lagerfeuer, auf das man viele saftige Blätter und frische Äste geworfen hatte. Zwei Sprossen erklomm Cephei noch, dann gab er auf, er konnte kaum mehr atmen, und diese Wolke hätte ihm sicher den Rest gegeben. Er blickte umher, konnte aber nichts sehen außer Dunkelheit; der Turm war eine Sackgasse. Er half ihnen nicht, im Gegenteil, aus seinem Inneren quoll die Wolke, die ihnen die Sicht nahm.
    Wahrscheinlich war es wirklich der Turm eines Zauberers, und gut möglich, dass dieser schon seit Ewigkeiten tot war und nur noch seine Hexerei wirkte.
    Schwarze Kunst , schauderte Cephei, und er zitterte den ganzen Weg hinunter. Die schwere, rauchige Luft hatte sich in seiner Brust festgesetzt, und seine Augen hörten nicht auf zu tränen. Die letzten Meter wäre er fast gefallen, und als er schließlich wieder auf dem Boden stand, musste er sich augenblicklich setzen.
    Sofort waren die beiden anderen bei ihm, Vela reichte ihm die Wasserflasche, und Urs klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Er erzählte den anderen, was er gesehen hatte, und sie schwiegen. Vela tupfte ihm mit einem feuchten Zipfel ihres Hemdes die Augen sauber, so dass er wieder klar sehen konnte.
    »Danke. Meinst du, das ist der Turm eines dunklen Zauberers?«
    »Ich weiß nicht«, brummte Urs. »Das ist es ja, über Sanjorkh weiß niemand Genaues. Ihr habt ja gesehen, wie groß und seltsam die Stadt ist; mich würde nicht wundern, wenn ein Zauberer sie errichtet hätte. Aber wenn ich solche Macht hätte und Jahrhunderte alt wäre, würde ich mir einen schöneren Turm bauen.«
    Cephei blickte Urs ins Gesicht, und der grinste. Er erwiderte das Grinsen vorsichtig, aber beruhigt war er nicht. Wer konnte
schon wissen, wie ein Zauberer leben wollte, der eine solch graue und düstere Stadt errichtete?
    Kurz darauf brachen sie wieder auf, und schon bald stellten sie fest, dass kein noch so verwinkeltes Labyrinth Sanjorkh gleichkam. Viele Straßen bogen sich, überall gab es Kreuzungen, manchmal führte eine Straße für eine Weile unter die Erde und andere wurden zu Brücken, die auf hohen grauen Säulen über andere Straßen hinwegführten. Manche waren gar breiter als die, auf der sie Sanjorkh betreten hatten, andere schmal wie eine unbedeutende Gasse in der Königsstadt. Und immer wieder war ihnen der Weg durch Schutt versperrt.
    Zur Orientierung blieb ihnen nur der Raumgeist der Südlichen Feste, der jedoch nie zögerte und sofort eine Richtung einschlug, sobald man ihn auf den Boden setzte. Er brauchte kein Licht, keine Sterne, keine Sonne, er schien einfach immer zu wissen, wohin er wollte.
    Manchmal hörten sie Geräusche, meist waren diese fern oder schienen von unter der Erde zu kommen, und dann beeilten sie sich weiterzukommen, denn auch Urs wusste nicht, was es sein könnte.
    In den nächsten Stunden trafen sie weder Zauberer noch Räuber oder Monster. Die Gesetzlosen, von denen der Händler gesprochen hatte, fielen nicht über sie her, aber das hieß nicht, dass sie

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